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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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des Gemüths und eine Sicherheit für die
Gegenwart und Zukunft.

Nun giebt es aber eine dritte Richtung,
die aus beyden gemischt ist und deren Erfolg
am sichersten gelingen muß. Wenn nämlich
die Jugend des Menschen in eine prägnante
Zeit trifft, wo das Hervorbringen das Zer¬
stören überwiegt, und in ihm das Vorgefühl
bey Zeiten erwacht, was eine solche Epoche
fordre und verspreche; so wird er, durch äu¬
ßere Anlässe zu thätiger Theilnahme gedrängt,
bald da bald dorthin greifen, und der
Wunsch nach vielen Seiten wirksam zu seyn
wird in ihm lebendig werden. Nun gesellen
sich aber zur menschlichen Beschränktheit noch
so viele zufällige Hindernisse, daß hier ein
Begonnenes liegen bleibt, dort ein Ergriffenes
aus der Hand fällt, und ein Wunsch nach
dem andern sich verzettelt. Waren aber diese
Wünsche aus einem reinen Herzen entsprun¬
gen, dem Bedürfniß der Zeit gemäß; so darf

des Gemuͤths und eine Sicherheit fuͤr die
Gegenwart und Zukunft.

Nun giebt es aber eine dritte Richtung,
die aus beyden gemiſcht iſt und deren Erfolg
am ſicherſten gelingen muß. Wenn naͤmlich
die Jugend des Menſchen in eine praͤgnante
Zeit trifft, wo das Hervorbringen das Zer¬
ſtoͤren uͤberwiegt, und in ihm das Vorgefuͤhl
bey Zeiten erwacht, was eine ſolche Epoche
fordre und verſpreche; ſo wird er, durch aͤu¬
ßere Anlaͤſſe zu thaͤtiger Theilnahme gedraͤngt,
bald da bald dorthin greifen, und der
Wunſch nach vielen Seiten wirkſam zu ſeyn
wird in ihm lebendig werden. Nun geſellen
ſich aber zur menſchlichen Beſchraͤnktheit noch
ſo viele zufaͤllige Hinderniſſe, daß hier ein
Begonnenes liegen bleibt, dort ein Ergriffenes
aus der Hand faͤllt, und ein Wunſch nach
dem andern ſich verzettelt. Waren aber dieſe
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[420/0428] des Gemuͤths und eine Sicherheit fuͤr die Gegenwart und Zukunft. Nun giebt es aber eine dritte Richtung, die aus beyden gemiſcht iſt und deren Erfolg am ſicherſten gelingen muß. Wenn naͤmlich die Jugend des Menſchen in eine praͤgnante Zeit trifft, wo das Hervorbringen das Zer¬ ſtoͤren uͤberwiegt, und in ihm das Vorgefuͤhl bey Zeiten erwacht, was eine ſolche Epoche fordre und verſpreche; ſo wird er, durch aͤu¬ ßere Anlaͤſſe zu thaͤtiger Theilnahme gedraͤngt, bald da bald dorthin greifen, und der Wunſch nach vielen Seiten wirkſam zu ſeyn wird in ihm lebendig werden. Nun geſellen ſich aber zur menſchlichen Beſchraͤnktheit noch ſo viele zufaͤllige Hinderniſſe, daß hier ein Begonnenes liegen bleibt, dort ein Ergriffenes aus der Hand faͤllt, und ein Wunſch nach dem andern ſich verzettelt. Waren aber dieſe Wuͤnſche aus einem reinen Herzen entſprun¬ gen, dem Beduͤrfniß der Zeit gemaͤß; ſo darf

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/428>, abgerufen am 25.11.2024.