Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.aufs deutlichste vor Augen gestellt. Leben Sie In diesem Augenblicke flog die Seitenthür aufs deutlichſte vor Augen geſtellt. Leben Sie In dieſem Augenblicke flog die Seitenthuͤr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0448" n="440"/> aufs deutlichſte vor Augen geſtellt. Leben Sie<lb/> wohl, ſagte ſie, und reichte mir die Hand.<lb/> Ich zauderte. — Nun ſagte ſie, indem ſie<lb/> mich gegen die Thuͤre fuͤhrte, damit es<lb/> wirklich das letzte Mal ſey, daß wir uns<lb/> ſprechen, ſo nehmen Sie was ich Ihnen ſonſt<lb/> verſagen wuͤrde. Sie fiel mir um den Hals<lb/> und kuͤßte mich aufs zaͤrtlichſte. Ich umfaßte<lb/> ſie und druͤckte ſie an mich.</p><lb/> <p>In dieſem Augenblicke flog die Seitenthuͤr<lb/> auf, und die Schweſter ſprang in einem leich¬<lb/> ten aber anſtaͤndigen Nachtkleide hervor und<lb/> rief: Du ſollſt nicht allein von ihm Abſchied<lb/> nehmen! Emilie ließ mich fahren und Lucin¬<lb/> de ergriff mich, ſchloß ſich feſt an mein Herz,<lb/> druͤckte ihre ſchwarzen Locken an meine Wan¬<lb/> gen und blieb eine Zeit lang in dieſer Lage.<lb/> Und ſo fand ich mich denn in der Klemme<lb/> zwiſchen beyden Schweſtern, wie mir's Emi¬<lb/> lie einen Augenblick vorher geweiſſagt hatte.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [440/0448]
aufs deutlichſte vor Augen geſtellt. Leben Sie
wohl, ſagte ſie, und reichte mir die Hand.
Ich zauderte. — Nun ſagte ſie, indem ſie
mich gegen die Thuͤre fuͤhrte, damit es
wirklich das letzte Mal ſey, daß wir uns
ſprechen, ſo nehmen Sie was ich Ihnen ſonſt
verſagen wuͤrde. Sie fiel mir um den Hals
und kuͤßte mich aufs zaͤrtlichſte. Ich umfaßte
ſie und druͤckte ſie an mich.
In dieſem Augenblicke flog die Seitenthuͤr
auf, und die Schweſter ſprang in einem leich¬
ten aber anſtaͤndigen Nachtkleide hervor und
rief: Du ſollſt nicht allein von ihm Abſchied
nehmen! Emilie ließ mich fahren und Lucin¬
de ergriff mich, ſchloß ſich feſt an mein Herz,
druͤckte ihre ſchwarzen Locken an meine Wan¬
gen und blieb eine Zeit lang in dieſer Lage.
Und ſo fand ich mich denn in der Klemme
zwiſchen beyden Schweſtern, wie mir's Emi¬
lie einen Augenblick vorher geweiſſagt hatte.
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