Er hätte eben sowohl des Athemholens ent¬ behrt als des Dichtens und Schenkens, und, indem er bedürftigen Talenten aller Art über frühere oder spätere Verlegenheiten hinaus und dadurch wirklich der Litteratur zu Ehren half, gewann er sich so viele Freunde, Schuld¬ ner und Abhängige, daß man ihm seine brei¬ te Poesie gerne gelten ließ, weil man ihm für die reichlichen Wohlthaten nichts zu er¬ wiedern vermochte als Duldung seiner Gedichte.
Jener hohe Begriff nun, den sich beyde Männer von ihrem Werth bilden durften, und wodurch Andere veranlaßt wurden, sich auch für etwas zu halten, hat im Oeffentli¬ chen und Geheimen sehr große und schöne Wirkungen hervorgebracht. Allein dieses Be¬ wußtseyn, so ehrwürdig es ist, führte für sie selbst, für ihre Umgebungen, ihre Zeit ein eignes Uebel herbey. Darf man beyde Männer, nach ihren geistigen Wirkungen, unbedenklich groß nennen, so blieben sie ge¬
Er haͤtte eben ſowohl des Athemholens ent¬ behrt als des Dichtens und Schenkens, und, indem er beduͤrftigen Talenten aller Art uͤber fruͤhere oder ſpaͤtere Verlegenheiten hinaus und dadurch wirklich der Litteratur zu Ehren half, gewann er ſich ſo viele Freunde, Schuld¬ ner und Abhaͤngige, daß man ihm ſeine brei¬ te Poeſie gerne gelten ließ, weil man ihm fuͤr die reichlichen Wohlthaten nichts zu er¬ wiedern vermochte als Duldung ſeiner Gedichte.
Jener hohe Begriff nun, den ſich beyde Maͤnner von ihrem Werth bilden durften, und wodurch Andere veranlaßt wurden, ſich auch fuͤr etwas zu halten, hat im Oeffentli¬ chen und Geheimen ſehr große und ſchoͤne Wirkungen hervorgebracht. Allein dieſes Be¬ wußtſeyn, ſo ehrwuͤrdig es iſt, fuͤhrte fuͤr ſie ſelbſt, fuͤr ihre Umgebungen, ihre Zeit ein eignes Uebel herbey. Darf man beyde Maͤnner, nach ihren geiſtigen Wirkungen, unbedenklich groß nennen, ſo blieben ſie ge¬
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Er haͤtte eben ſowohl des Athemholens ent¬
behrt als des Dichtens und Schenkens, und,
indem er beduͤrftigen Talenten aller Art uͤber
fruͤhere oder ſpaͤtere Verlegenheiten hinaus
und dadurch wirklich der Litteratur zu Ehren
half, gewann er ſich ſo viele Freunde, Schuld¬
ner und Abhaͤngige, daß man ihm ſeine brei¬
te Poeſie gerne gelten ließ, weil man ihm
fuͤr die reichlichen Wohlthaten nichts zu er¬
wiedern vermochte als Duldung ſeiner Gedichte.
Jener hohe Begriff nun, den ſich beyde
Maͤnner von ihrem Werth bilden durften,
und wodurch Andere veranlaßt wurden, ſich
auch fuͤr etwas zu halten, hat im Oeffentli¬
chen und Geheimen ſehr große und ſchoͤne
Wirkungen hervorgebracht. Allein dieſes Be¬
wußtſeyn, ſo ehrwuͤrdig es iſt, fuͤhrte fuͤr
ſie ſelbſt, fuͤr ihre Umgebungen, ihre Zeit
ein eignes Uebel herbey. Darf man beyde
Maͤnner, nach ihren geiſtigen Wirkungen,
unbedenklich groß nennen, ſo blieben ſie ge¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/463>, abgerufen am 22.11.2024.
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