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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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keit abzustumpfen versucht hatte; ich konnte der
Operation beywohnen und einem so werthen
Manne auf mancherley Weise dienstlich und be¬
hüfllich seyn. Hier fand ich nun alle Ursache,
seine große Standhastigkeit und Geduld zu
bewundern: denn weder bey den vielfachen
chirurgischen Verwundungen, noch bey dem
oftmals wiederholten schmerzlichen Verbande
bewies er sich im mindesten verdrießlich, und
er schien derjenige von uns zu seyn, der am
wenigsten litt; aber in der Zwischenzeit hatten
wir freylich den Wechsel seiner Laune vielfach
zu ertragen. Ich sage wir: denn es war au¬
ßer mir ein behaglicher Russe, Namens Peg¬
low, meistens um ihn. Dieser war ein frü¬
herer Bekannter von Herder in Riga gewe¬
sen, und suchte sich, obgleich kein Jüngling
mehr, noch in der Chirurgie unter Lobsteins
Anleitung zu vervollkommnen. Herder konnte
allerliebst einnehmend und geistreich seyn, aber
eben so leicht eine verdrießliche Seite hervor¬
kehren. Dieses Anziehen und Abstoßen haben

keit abzuſtumpfen verſucht hatte; ich konnte der
Operation beywohnen und einem ſo werthen
Manne auf mancherley Weiſe dienſtlich und be¬
huͤfllich ſeyn. Hier fand ich nun alle Urſache,
ſeine große Standhaſtigkeit und Geduld zu
bewundern: denn weder bey den vielfachen
chirurgiſchen Verwundungen, noch bey dem
oftmals wiederholten ſchmerzlichen Verbande
bewies er ſich im mindeſten verdrießlich, und
er ſchien derjenige von uns zu ſeyn, der am
wenigſten litt; aber in der Zwiſchenzeit hatten
wir freylich den Wechſel ſeiner Laune vielfach
zu ertragen. Ich ſage wir: denn es war au¬
ßer mir ein behaglicher Ruſſe, Namens Peg¬
low, meiſtens um ihn. Dieſer war ein fruͤ¬
herer Bekannter von Herder in Riga gewe¬
ſen, und ſuchte ſich, obgleich kein Juͤngling
mehr, noch in der Chirurgie unter Lobſteins
Anleitung zu vervollkommnen. Herder konnte
allerliebſt einnehmend und geiſtreich ſeyn, aber
eben ſo leicht eine verdrießliche Seite hervor¬
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[464/0472] keit abzuſtumpfen verſucht hatte; ich konnte der Operation beywohnen und einem ſo werthen Manne auf mancherley Weiſe dienſtlich und be¬ huͤfllich ſeyn. Hier fand ich nun alle Urſache, ſeine große Standhaſtigkeit und Geduld zu bewundern: denn weder bey den vielfachen chirurgiſchen Verwundungen, noch bey dem oftmals wiederholten ſchmerzlichen Verbande bewies er ſich im mindeſten verdrießlich, und er ſchien derjenige von uns zu ſeyn, der am wenigſten litt; aber in der Zwiſchenzeit hatten wir freylich den Wechſel ſeiner Laune vielfach zu ertragen. Ich ſage wir: denn es war au¬ ßer mir ein behaglicher Ruſſe, Namens Peg¬ low, meiſtens um ihn. Dieſer war ein fruͤ¬ herer Bekannter von Herder in Riga gewe¬ ſen, und ſuchte ſich, obgleich kein Juͤngling mehr, noch in der Chirurgie unter Lobſteins Anleitung zu vervollkommnen. Herder konnte allerliebſt einnehmend und geiſtreich ſeyn, aber eben ſo leicht eine verdrießliche Seite hervor¬ kehren. Dieſes Anziehen und Abſtoßen haben

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/472>, abgerufen am 22.11.2024.