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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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rer Zeit die Augen des Vaterlands auf sich zo¬
gen. Was in einem solchen Geiste für eine
Bewegung, was in einer solchen Natur für
eine Gährung müsse gewesen seyn, läßt sich
weder fassen noch darstellen. Groß aber war
gewiß das eingehüllte Streben, wie man leicht
eingestehn wird, wenn man bedenkt, wie vie¬
le Jahre nachher, und was er alles gewirkt
und geleistet hat.

Wir hatten nicht lange auf diese Weise
zusammengelebt, als er mir vertraute, daß
er sich um den Preis, welcher auf die beste
Schrift über den Ursprung der Sprachen
von Berlin ausgesetzt war, mit zu bewerben
gedenke. Seine Arbeit war schon ihrer Voll¬
endung nahe, und wie er eine sehr reinliche
Hand schrieb, so konnte er mir bald ein les¬
bares Manuscript heftweise mittheilen. Ich
hatte über solche Gegenstände niemals nachge¬
dacht; ich war noch zu sehr in der Mitte der
Dinge befangen, als daß ich hätte an An¬

rer Zeit die Augen des Vaterlands auf ſich zo¬
gen. Was in einem ſolchen Geiſte fuͤr eine
Bewegung, was in einer ſolchen Natur fuͤr
eine Gaͤhrung muͤſſe geweſen ſeyn, laͤßt ſich
weder faſſen noch darſtellen. Groß aber war
gewiß das eingehuͤllte Streben, wie man leicht
eingeſtehn wird, wenn man bedenkt, wie vie¬
le Jahre nachher, und was er alles gewirkt
und geleiſtet hat.

Wir hatten nicht lange auf dieſe Weiſe
zuſammengelebt, als er mir vertraute, daß
er ſich um den Preis, welcher auf die beſte
Schrift uͤber den Urſprung der Sprachen
von Berlin ausgeſetzt war, mit zu bewerben
gedenke. Seine Arbeit war ſchon ihrer Voll¬
endung nahe, und wie er eine ſehr reinliche
Hand ſchrieb, ſo konnte er mir bald ein les¬
bares Manuſcript heftweiſe mittheilen. Ich
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[468/0476] rer Zeit die Augen des Vaterlands auf ſich zo¬ gen. Was in einem ſolchen Geiſte fuͤr eine Bewegung, was in einer ſolchen Natur fuͤr eine Gaͤhrung muͤſſe geweſen ſeyn, laͤßt ſich weder faſſen noch darſtellen. Groß aber war gewiß das eingehuͤllte Streben, wie man leicht eingeſtehn wird, wenn man bedenkt, wie vie¬ le Jahre nachher, und was er alles gewirkt und geleiſtet hat. Wir hatten nicht lange auf dieſe Weiſe zuſammengelebt, als er mir vertraute, daß er ſich um den Preis, welcher auf die beſte Schrift uͤber den Urſprung der Sprachen von Berlin ausgeſetzt war, mit zu bewerben gedenke. Seine Arbeit war ſchon ihrer Voll¬ endung nahe, und wie er eine ſehr reinliche Hand ſchrieb, ſo konnte er mir bald ein les¬ bares Manuſcript heftweiſe mittheilen. Ich hatte uͤber ſolche Gegenſtaͤnde niemals nachge¬ dacht; ich war noch zu ſehr in der Mitte der Dinge befangen, als daß ich haͤtte an An¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/476>, abgerufen am 18.10.2024.