fang und Ende denken sollen. Auch schien mir die Frage einigermaßen müßig: denn wenn Gott den Menschen als Menschen er¬ schaffen hatte, so war ihm ja so gut die Sprache als der aufrechte Gang anerschaffen; so gut er gleich merken mußte, daß er gehen und greifen könne, so gut mußte er auch ge¬ wahr werden, daß er mit der Kehle zu sin¬ gen, und diese Töne durch Zunge, Gaumen und Lippen noch auf verschiedene Weise zu modificiren vermöge. War der Mensch gött¬ lichen Ursprungs, so war es ja auch die Sprache selbst, und war der Mensch in dem Umkreis der Natur betrachtet, ein natürliches Wesen, so war die Sprache gleichfalls na¬ türlich. Diese beyden Dinge konnte ich wie Seel' und Leib niemals auseinander bringen. Silberschlag, bey einem cruden Realis¬ mus doch etwas phantastisch gesinnt, hatte sich für den göttlichen Ursprung entschieden, das heißt, daß Gott den Schulmeister bey den ersten Menschen gespielt habe. Herders
fang und Ende denken ſollen. Auch ſchien mir die Frage einigermaßen muͤßig: denn wenn Gott den Menſchen als Menſchen er¬ ſchaffen hatte, ſo war ihm ja ſo gut die Sprache als der aufrechte Gang anerſchaffen; ſo gut er gleich merken mußte, daß er gehen und greifen koͤnne, ſo gut mußte er auch ge¬ wahr werden, daß er mit der Kehle zu ſin¬ gen, und dieſe Toͤne durch Zunge, Gaumen und Lippen noch auf verſchiedene Weiſe zu modificiren vermoͤge. War der Menſch goͤtt¬ lichen Urſprungs, ſo war es ja auch die Sprache ſelbſt, und war der Menſch in dem Umkreis der Natur betrachtet, ein natuͤrliches Weſen, ſo war die Sprache gleichfalls na¬ tuͤrlich. Dieſe beyden Dinge konnte ich wie Seel' und Leib niemals auseinander bringen. Silberſchlag, bey einem cruden Realis¬ mus doch etwas phantaſtiſch geſinnt, hatte ſich fuͤr den goͤttlichen Urſprung entſchieden, das heißt, daß Gott den Schulmeiſter bey den erſten Menſchen geſpielt habe. Herders
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0477"n="469"/>
fang und Ende denken ſollen. Auch ſchien<lb/>
mir die Frage einigermaßen muͤßig: denn<lb/>
wenn Gott den Menſchen als Menſchen er¬<lb/>ſchaffen hatte, ſo war ihm ja ſo gut die<lb/>
Sprache als der aufrechte Gang anerſchaffen;<lb/>ſo gut er gleich merken mußte, daß er gehen<lb/>
und greifen koͤnne, ſo gut mußte er auch ge¬<lb/>
wahr werden, daß er mit der Kehle zu ſin¬<lb/>
gen, und dieſe Toͤne durch Zunge, Gaumen<lb/>
und Lippen noch auf verſchiedene Weiſe zu<lb/>
modificiren vermoͤge. War der Menſch goͤtt¬<lb/>
lichen Urſprungs, ſo war es ja auch die<lb/>
Sprache ſelbſt, und war der Menſch in dem<lb/>
Umkreis der Natur betrachtet, ein natuͤrliches<lb/>
Weſen, ſo war die Sprache gleichfalls na¬<lb/>
tuͤrlich. Dieſe beyden Dinge konnte ich wie<lb/>
Seel' und Leib niemals auseinander bringen.<lb/><hirendition="#g">Silberſchlag</hi>, bey einem cruden Realis¬<lb/>
mus doch etwas phantaſtiſch geſinnt, hatte<lb/>ſich fuͤr den goͤttlichen Urſprung entſchieden,<lb/>
das heißt, daß Gott den Schulmeiſter bey<lb/>
den erſten Menſchen geſpielt habe. Herders<lb/></p></div></body></text></TEI>
[469/0477]
fang und Ende denken ſollen. Auch ſchien
mir die Frage einigermaßen muͤßig: denn
wenn Gott den Menſchen als Menſchen er¬
ſchaffen hatte, ſo war ihm ja ſo gut die
Sprache als der aufrechte Gang anerſchaffen;
ſo gut er gleich merken mußte, daß er gehen
und greifen koͤnne, ſo gut mußte er auch ge¬
wahr werden, daß er mit der Kehle zu ſin¬
gen, und dieſe Toͤne durch Zunge, Gaumen
und Lippen noch auf verſchiedene Weiſe zu
modificiren vermoͤge. War der Menſch goͤtt¬
lichen Urſprungs, ſo war es ja auch die
Sprache ſelbſt, und war der Menſch in dem
Umkreis der Natur betrachtet, ein natuͤrliches
Weſen, ſo war die Sprache gleichfalls na¬
tuͤrlich. Dieſe beyden Dinge konnte ich wie
Seel' und Leib niemals auseinander bringen.
Silberſchlag, bey einem cruden Realis¬
mus doch etwas phantaſtiſch geſinnt, hatte
ſich fuͤr den goͤttlichen Urſprung entſchieden,
das heißt, daß Gott den Schulmeiſter bey
den erſten Menſchen geſpielt habe. Herders
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/477>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.