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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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und zerren kann, sondern ein vollkommen pas¬
sendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm
über und über angewachsen, an der man nicht
schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu
verletzen.

Der erste Vorwurf hingegen war gegrün¬
deter. Ich hatte nämlich die von Langern
eingetauschten Autoren, und dazu noch ver¬
schiedene schöne Ausgaben aus meines Vaters
Sammlung, mit nach Straßburg genommen
und sie auf einem reinlichen Bücherbrett auf¬
gestellt, mit dem besten Willen, sie zu be¬
nutzen. Wie sollte aber die Zeit zureichen,
die ich in hunderterley Thätigkeiten zersplit¬
terte. Herder, der auf Bücher höchst auf¬
merksam war, weil er deren jeden Augenblick
bedurfte, gewahrte beym ersten Besuch meine
schöne Sammlung, aber auch bald, daß ich
mich derselben gar nicht bediente; deswegen
er, als der große Feind alles Scheins und

und zerren kann, ſondern ein vollkommen paſ¬
ſendes Kleid, ja wie die Haut ſelbſt ihm
uͤber und uͤber angewachſen, an der man nicht
ſchaben und ſchinden darf, ohne ihn ſelbſt zu
verletzen.

Der erſte Vorwurf hingegen war gegruͤn¬
deter. Ich hatte naͤmlich die von Langern
eingetauſchten Autoren, und dazu noch ver¬
ſchiedene ſchoͤne Ausgaben aus meines Vaters
Sammlung, mit nach Straßburg genommen
und ſie auf einem reinlichen Buͤcherbrett auf¬
geſtellt, mit dem beſten Willen, ſie zu be¬
nutzen. Wie ſollte aber die Zeit zureichen,
die ich in hunderterley Thaͤtigkeiten zerſplit¬
terte. Herder, der auf Buͤcher hoͤchſt auf¬
merkſam war, weil er deren jeden Augenblick
bedurfte, gewahrte beym erſten Beſuch meine
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[472/0480] und zerren kann, ſondern ein vollkommen paſ¬ ſendes Kleid, ja wie die Haut ſelbſt ihm uͤber und uͤber angewachſen, an der man nicht ſchaben und ſchinden darf, ohne ihn ſelbſt zu verletzen. Der erſte Vorwurf hingegen war gegruͤn¬ deter. Ich hatte naͤmlich die von Langern eingetauſchten Autoren, und dazu noch ver¬ ſchiedene ſchoͤne Ausgaben aus meines Vaters Sammlung, mit nach Straßburg genommen und ſie auf einem reinlichen Buͤcherbrett auf¬ geſtellt, mit dem beſten Willen, ſie zu be¬ nutzen. Wie ſollte aber die Zeit zureichen, die ich in hunderterley Thaͤtigkeiten zerſplit¬ terte. Herder, der auf Buͤcher hoͤchſt auf¬ merkſam war, weil er deren jeden Augenblick bedurfte, gewahrte beym erſten Beſuch meine ſchoͤne Sammlung, aber auch bald, daß ich mich derſelben gar nicht bediente; deswegen er, als der große Feind alles Scheins und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/480>, abgerufen am 22.11.2024.