gentliche Compensation nicht gedacht werden kann. Lessing hat bey dem schönen Bewußt¬ seyn, das ihm, in seiner besten Lebenszeit, über irdische Dinge zu Theil ward, sich hier¬ über einmal derb aber heiter ausgesprochen. Herder hingegen vergällte sich und Andern im¬ merfort die schönsten Tage, da er jenen Un¬ muth, der ihn in der Jugend nothwendig ergriffen hatte, in der Folgezeit durch Gei¬ steskraft nicht zu mäßigen wußte.
Diese Forderung kann man gar wohl an sich machen: denn der Bildungsfähigkeit ei¬ nes Menschen kommt das Licht der Natur, welches immer thätig ist, ihn über seine Zu¬ stände aufzuklären, auch hier gar freundlich zu Statten; und überhaupt sollte man in manchen sittlichen Bildungsfällen die Mängel nicht zu schwer nehmen, und sich nicht nach allzuernsten, weitliegenden Mitteln umsehen, da sich gewisse Fehler sehr leicht, ja spielend abthun lassen. So können wir zum Bey¬
gentliche Compenſation nicht gedacht werden kann. Leſſing hat bey dem ſchoͤnen Bewußt¬ ſeyn, das ihm, in ſeiner beſten Lebenszeit, uͤber irdiſche Dinge zu Theil ward, ſich hier¬ uͤber einmal derb aber heiter ausgeſprochen. Herder hingegen vergaͤllte ſich und Andern im¬ merfort die ſchoͤnſten Tage, da er jenen Un¬ muth, der ihn in der Jugend nothwendig ergriffen hatte, in der Folgezeit durch Gei¬ ſteskraft nicht zu maͤßigen wußte.
Dieſe Forderung kann man gar wohl an ſich machen: denn der Bildungsfaͤhigkeit ei¬ nes Menſchen kommt das Licht der Natur, welches immer thaͤtig iſt, ihn uͤber ſeine Zu¬ ſtaͤnde aufzuklaͤren, auch hier gar freundlich zu Statten; und uͤberhaupt ſollte man in manchen ſittlichen Bildungsfaͤllen die Maͤngel nicht zu ſchwer nehmen, und ſich nicht nach allzuernſten, weitliegenden Mitteln umſehen, da ſich gewiſſe Fehler ſehr leicht, ja ſpielend abthun laſſen. So koͤnnen wir zum Bey¬
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gentliche Compenſation nicht gedacht werden
kann. Leſſing hat bey dem ſchoͤnen Bewußt¬
ſeyn, das ihm, in ſeiner beſten Lebenszeit,
uͤber irdiſche Dinge zu Theil ward, ſich hier¬
uͤber einmal derb aber heiter ausgeſprochen.
Herder hingegen vergaͤllte ſich und Andern im¬
merfort die ſchoͤnſten Tage, da er jenen Un¬
muth, der ihn in der Jugend nothwendig
ergriffen hatte, in der Folgezeit durch Gei¬
ſteskraft nicht zu maͤßigen wußte.
Dieſe Forderung kann man gar wohl an
ſich machen: denn der Bildungsfaͤhigkeit ei¬
nes Menſchen kommt das Licht der Natur,
welches immer thaͤtig iſt, ihn uͤber ſeine Zu¬
ſtaͤnde aufzuklaͤren, auch hier gar freundlich
zu Statten; und uͤberhaupt ſollte man in
manchen ſittlichen Bildungsfaͤllen die Maͤngel
nicht zu ſchwer nehmen, und ſich nicht nach
allzuernſten, weitliegenden Mitteln umſehen,
da ſich gewiſſe Fehler ſehr leicht, ja ſpielend
abthun laſſen. So koͤnnen wir zum Bey¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/490>, abgerufen am 22.11.2024.
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