Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

licher, als daß ich nach und nach in Mit¬
theilung dessen, was bisher zu meiner Bil¬
dung beygetragen, besonders aber solcher Din¬
ge, die mich noch in dem Augenblicke ernst¬
lich beschäftigten, gegen Herdern immer kar¬
ger und karger ward. Er hatte mir den
Spaß an so manchem, was ich früher ge¬
liebt, verdorben und mich besonders wegen
der Freude, die ich an Ovids Metamorpho¬
sen gehabt, aufs strengste getadelt. Ich moch¬
te meinen Liebling in Schutz nehmen wie ich
wollte, ich mochte sagen, daß für eine ju¬
gendliche Phantasie nichts erfreulicher seyn kön¬
ne, als in jenen heitern und herrlichen Ge¬
genden mit Göttern und Halbgöttern zu ver¬
weilen und ein Zeuge ihres Thuns und ihrer
Leidenschaften zu seyn; ich mochte jenes oben
erwähnte Gutachten eines ernsthaften Man¬
nes umständlich beybringen und solches durch
meine eigne Erfahrung bekräftigen: das alles
sollte nicht gelten, es sollte sich keine eigent¬
liche unmittelbare Wahrheit in diesen Gedich¬

licher, als daß ich nach und nach in Mit¬
theilung deſſen, was bisher zu meiner Bil¬
dung beygetragen, beſonders aber ſolcher Din¬
ge, die mich noch in dem Augenblicke ernſt¬
lich beſchaͤftigten, gegen Herdern immer kar¬
ger und karger ward. Er hatte mir den
Spaß an ſo manchem, was ich fruͤher ge¬
liebt, verdorben und mich beſonders wegen
der Freude, die ich an Ovids Metamorpho¬
ſen gehabt, aufs ſtrengſte getadelt. Ich moch¬
te meinen Liebling in Schutz nehmen wie ich
wollte, ich mochte ſagen, daß fuͤr eine ju¬
gendliche Phantaſie nichts erfreulicher ſeyn koͤn¬
ne, als in jenen heitern und herrlichen Ge¬
genden mit Goͤttern und Halbgoͤttern zu ver¬
weilen und ein Zeuge ihres Thuns und ihrer
Leidenſchaften zu ſeyn; ich mochte jenes oben
erwaͤhnte Gutachten eines ernſthaften Man¬
nes umſtaͤndlich beybringen und ſolches durch
meine eigne Erfahrung bekraͤftigen: das alles
ſollte nicht gelten, es ſollte ſich keine eigent¬
liche unmittelbare Wahrheit in dieſen Gedich¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0493" n="485"/>
licher, als daß ich nach und nach in Mit¬<lb/>
theilung de&#x017F;&#x017F;en, was bisher zu meiner Bil¬<lb/>
dung beygetragen, be&#x017F;onders aber &#x017F;olcher Din¬<lb/>
ge, die mich noch in dem Augenblicke ern&#x017F;<lb/>
lich be&#x017F;cha&#x0364;ftigten, gegen Herdern immer kar¬<lb/>
ger und karger ward. Er hatte mir den<lb/>
Spaß an &#x017F;o manchem, was ich fru&#x0364;her ge¬<lb/>
liebt, verdorben und mich be&#x017F;onders wegen<lb/>
der Freude, die ich an Ovids Metamorpho¬<lb/>
&#x017F;en gehabt, aufs &#x017F;treng&#x017F;te getadelt. Ich moch¬<lb/>
te meinen Liebling in Schutz nehmen wie ich<lb/>
wollte, ich mochte &#x017F;agen, daß fu&#x0364;r eine ju¬<lb/>
gendliche Phanta&#x017F;ie nichts erfreulicher &#x017F;eyn ko&#x0364;<lb/>
ne, als in jenen heitern und herrlichen Ge¬<lb/>
genden mit Go&#x0364;ttern und Halbgo&#x0364;ttern zu ver¬<lb/>
weilen und ein Zeuge ihres Thuns und ihrer<lb/>
Leiden&#x017F;chaften zu &#x017F;eyn; ich mochte jenes oben<lb/>
erwa&#x0364;hnte Gutachten eines ern&#x017F;thaften Man¬<lb/>
nes um&#x017F;ta&#x0364;ndlich beybringen und &#x017F;olches durch<lb/>
meine eigne Erfahrung bekra&#x0364;ftigen: das alles<lb/>
&#x017F;ollte nicht gelten, es &#x017F;ollte &#x017F;ich keine eigent¬<lb/>
liche unmittelbare Wahrheit in die&#x017F;en Gedich¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[485/0493] licher, als daß ich nach und nach in Mit¬ theilung deſſen, was bisher zu meiner Bil¬ dung beygetragen, beſonders aber ſolcher Din¬ ge, die mich noch in dem Augenblicke ernſt¬ lich beſchaͤftigten, gegen Herdern immer kar¬ ger und karger ward. Er hatte mir den Spaß an ſo manchem, was ich fruͤher ge¬ liebt, verdorben und mich beſonders wegen der Freude, die ich an Ovids Metamorpho¬ ſen gehabt, aufs ſtrengſte getadelt. Ich moch¬ te meinen Liebling in Schutz nehmen wie ich wollte, ich mochte ſagen, daß fuͤr eine ju¬ gendliche Phantaſie nichts erfreulicher ſeyn koͤn¬ ne, als in jenen heitern und herrlichen Ge¬ genden mit Goͤttern und Halbgoͤttern zu ver¬ weilen und ein Zeuge ihres Thuns und ihrer Leidenſchaften zu ſeyn; ich mochte jenes oben erwaͤhnte Gutachten eines ernſthaften Man¬ nes umſtaͤndlich beybringen und ſolches durch meine eigne Erfahrung bekraͤftigen: das alles ſollte nicht gelten, es ſollte ſich keine eigent¬ liche unmittelbare Wahrheit in dieſen Gedich¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/493
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/493>, abgerufen am 22.11.2024.