Halb willig, halb genöthigt zogen die Da¬ men ihre Röllchen, und gar leicht bemerkte man, daß bey dieser geringen Handlung man¬ cherley Leidenschaften im Spiel waren. Glück¬ licherweise traf sich's, daß die Heitergesinnten getrennt wurden, die Ernsteren zusammenblie¬ ben; und so behielt auch meine Schwester ih¬ ren Engländer, welches sie beyderseits dem Gott der Liebe und des Glücks sehr gut auf¬ nahmen. Die neuen Zufallspaare wurden so¬ gleich von dem Antistes zusammengegeben, auf ihre Gesundheit getrunken und allen um so mehr Freude gewünscht, als ihre Dauer nur kurz seyn sollte. Gewiß aber war dieß der heiterste Moment, den unsere Gesellschaft seit langer Zeit genossen. Die jungen Männer, denen kein Frauenzimmer zu Theil geworden, erhielten nunmehr das Amt, diese Woche über für Geist, Seele und Leib zu sorgen, wie sich unser Redner ausdrückte, besonders aber, meynte er, für die Seele, weil die beyden an¬ deren sich schon eher selbst zu helfen wüßten.
Halb willig, halb genoͤthigt zogen die Da¬ men ihre Roͤllchen, und gar leicht bemerkte man, daß bey dieſer geringen Handlung man¬ cherley Leidenſchaften im Spiel waren. Gluͤck¬ licherweiſe traf ſich's, daß die Heitergeſinnten getrennt wurden, die Ernſteren zuſammenblie¬ ben; und ſo behielt auch meine Schweſter ih¬ ren Englaͤnder, welches ſie beyderſeits dem Gott der Liebe und des Gluͤcks ſehr gut auf¬ nahmen. Die neuen Zufallspaare wurden ſo¬ gleich von dem Antiſtes zuſammengegeben, auf ihre Geſundheit getrunken und allen um ſo mehr Freude gewuͤnſcht, als ihre Dauer nur kurz ſeyn ſollte. Gewiß aber war dieß der heiterſte Moment, den unſere Geſellſchaft ſeit langer Zeit genoſſen. Die jungen Maͤnner, denen kein Frauenzimmer zu Theil geworden, erhielten nunmehr das Amt, dieſe Woche uͤber fuͤr Geiſt, Seele und Leib zu ſorgen, wie ſich unſer Redner ausdruͤckte, beſonders aber, meynte er, fuͤr die Seele, weil die beyden an¬ deren ſich ſchon eher ſelbſt zu helfen wuͤßten.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0054"n="46"/>
Halb willig, halb genoͤthigt zogen die Da¬<lb/>
men ihre Roͤllchen, und gar leicht bemerkte<lb/>
man, daß bey dieſer geringen Handlung man¬<lb/>
cherley Leidenſchaften im Spiel waren. Gluͤck¬<lb/>
licherweiſe traf ſich's, daß die Heitergeſinnten<lb/>
getrennt wurden, die Ernſteren zuſammenblie¬<lb/>
ben; und ſo behielt auch meine Schweſter ih¬<lb/>
ren Englaͤnder, welches ſie beyderſeits dem<lb/>
Gott der Liebe und des Gluͤcks ſehr gut auf¬<lb/>
nahmen. Die neuen Zufallspaare wurden ſo¬<lb/>
gleich von dem Antiſtes zuſammengegeben, auf<lb/>
ihre Geſundheit getrunken und allen um ſo<lb/>
mehr Freude gewuͤnſcht, als ihre Dauer nur<lb/>
kurz ſeyn ſollte. Gewiß aber war dieß der<lb/>
heiterſte Moment, den unſere Geſellſchaft ſeit<lb/>
langer Zeit genoſſen. Die jungen Maͤnner,<lb/>
denen kein Frauenzimmer zu Theil geworden,<lb/>
erhielten nunmehr das Amt, dieſe Woche uͤber<lb/>
fuͤr Geiſt, Seele und Leib zu ſorgen, wie<lb/>ſich unſer Redner ausdruͤckte, beſonders aber,<lb/>
meynte er, fuͤr die Seele, weil die beyden an¬<lb/>
deren ſich ſchon eher ſelbſt zu helfen wuͤßten.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[46/0054]
Halb willig, halb genoͤthigt zogen die Da¬
men ihre Roͤllchen, und gar leicht bemerkte
man, daß bey dieſer geringen Handlung man¬
cherley Leidenſchaften im Spiel waren. Gluͤck¬
licherweiſe traf ſich's, daß die Heitergeſinnten
getrennt wurden, die Ernſteren zuſammenblie¬
ben; und ſo behielt auch meine Schweſter ih¬
ren Englaͤnder, welches ſie beyderſeits dem
Gott der Liebe und des Gluͤcks ſehr gut auf¬
nahmen. Die neuen Zufallspaare wurden ſo¬
gleich von dem Antiſtes zuſammengegeben, auf
ihre Geſundheit getrunken und allen um ſo
mehr Freude gewuͤnſcht, als ihre Dauer nur
kurz ſeyn ſollte. Gewiß aber war dieß der
heiterſte Moment, den unſere Geſellſchaft ſeit
langer Zeit genoſſen. Die jungen Maͤnner,
denen kein Frauenzimmer zu Theil geworden,
erhielten nunmehr das Amt, dieſe Woche uͤber
fuͤr Geiſt, Seele und Leib zu ſorgen, wie
ſich unſer Redner ausdruͤckte, beſonders aber,
meynte er, fuͤr die Seele, weil die beyden an¬
deren ſich ſchon eher ſelbſt zu helfen wuͤßten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/54>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.