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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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dessen schon weit in unserer Umkleidung ge¬
kommen, und eigentlich sollte er mir seine
Festtagskleider gegen die meinigen nicht anver¬
trauen; doch er war treuherzig und hatte ja
mein Pferd im Stalle. Ich stand bald und
recht schmuck da, warf mich in die Brust,
und mein Freund schien sein Ebenbild mit
Behaglichkeit zu betrachten. -- Top Herr
Bruder! sagte er, indem er mir die Hand
hinreichte, in die ich wacker einschlug, komme
er meinem Mädel nicht zu nah, sie möchte sich
vergreifen.

Meine Haare, die nunmehr wieder ihren
völligen Wuchs hatten, konnte ich ohngefähr
wie die seinigen scheiteln, und da ich ihn
wiederholt betrachtete, so fand ichs lustig,
seine dichteren Augenbrauen mit einem gebrann¬
ten Korkstöpsel mäßig nachzuahmen und sie
in der Mitte näher zusammenzuziehen, um
mich bey meinem räthselhaften Vornehmen

deſſen ſchon weit in unſerer Umkleidung ge¬
kommen, und eigentlich ſollte er mir ſeine
Feſttagskleider gegen die meinigen nicht anver¬
trauen; doch er war treuherzig und hatte ja
mein Pferd im Stalle. Ich ſtand bald und
recht ſchmuck da, warf mich in die Bruſt,
und mein Freund ſchien ſein Ebenbild mit
Behaglichkeit zu betrachten. — Top Herr
Bruder! ſagte er, indem er mir die Hand
hinreichte, in die ich wacker einſchlug, komme
er meinem Maͤdel nicht zu nah, ſie moͤchte ſich
vergreifen.

Meine Haare, die nunmehr wieder ihren
voͤlligen Wuchs hatten, konnte ich ohngefaͤhr
wie die ſeinigen ſcheiteln, und da ich ihn
wiederholt betrachtete, ſo fand ichs luſtig,
ſeine dichteren Augenbrauen mit einem gebrann¬
ten Korkſtoͤpſel maͤßig nachzuahmen und ſie
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[550/0558] deſſen ſchon weit in unſerer Umkleidung ge¬ kommen, und eigentlich ſollte er mir ſeine Feſttagskleider gegen die meinigen nicht anver¬ trauen; doch er war treuherzig und hatte ja mein Pferd im Stalle. Ich ſtand bald und recht ſchmuck da, warf mich in die Bruſt, und mein Freund ſchien ſein Ebenbild mit Behaglichkeit zu betrachten. — Top Herr Bruder! ſagte er, indem er mir die Hand hinreichte, in die ich wacker einſchlug, komme er meinem Maͤdel nicht zu nah, ſie moͤchte ſich vergreifen. Meine Haare, die nunmehr wieder ihren voͤlligen Wuchs hatten, konnte ich ohngefaͤhr wie die ſeinigen ſcheiteln, und da ich ihn wiederholt betrachtete, ſo fand ichs luſtig, ſeine dichteren Augenbrauen mit einem gebrann¬ ten Korkſtoͤpſel maͤßig nachzuahmen und ſie in der Mitte naͤher zuſammenzuziehen, um mich bey meinem raͤthſelhaften Vornehmen

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/558>, abgerufen am 21.11.2024.