Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

betraf, die man nicht so leicht ablegt und
umtauscht.

Ich war nämlich in dem oberdeutschen
Dialect geboren und erzogen, und obgleich
mein Vater sich stets einer gewissen Reinheit
der Sprache befliß und uns Kinder auf das,
was man wirklich Mängel jenes Idioms nen¬
nen kann, von Jugend an aufmerksam ge¬
macht und zu einem besseren Sprechen vor¬
bereitet hatte; so blieben mir doch gar man¬
che tiefer liegende Eigenheiten, die ich, weil
sie mir ihrer Naivetät wegen gefielen, mit
Behagen hervorhob, und mir dadurch von
meinen neuen Mitbürgern jedesmal einen stren¬
gen Verweis zuzog. Der Oberdeutsche näm¬
lich, und vielleicht vorzüglich derjenige, welcher
dem Rhein und Main anwohnt, (denn gro¬
ße Flüße haben, wie das Meeresufer, immer
etwas Belebendes,) drückt sich viel in Gleich¬
nissen und Anspielungen aus, und bey einer
inneren, menschenverständigen Tüchtigkeit be¬

betraf, die man nicht ſo leicht ablegt und
umtauſcht.

Ich war naͤmlich in dem oberdeutſchen
Dialect geboren und erzogen, und obgleich
mein Vater ſich ſtets einer gewiſſen Reinheit
der Sprache befliß und uns Kinder auf das,
was man wirklich Maͤngel jenes Idioms nen¬
nen kann, von Jugend an aufmerkſam ge¬
macht und zu einem beſſeren Sprechen vor¬
bereitet hatte; ſo blieben mir doch gar man¬
che tiefer liegende Eigenheiten, die ich, weil
ſie mir ihrer Naivetaͤt wegen gefielen, mit
Behagen hervorhob, und mir dadurch von
meinen neuen Mitbuͤrgern jedesmal einen ſtren¬
gen Verweis zuzog. Der Oberdeutſche naͤm¬
lich, und vielleicht vorzuͤglich derjenige, welcher
dem Rhein und Main anwohnt, (denn gro¬
ße Fluͤße haben, wie das Meeresufer, immer
etwas Belebendes,) druͤckt ſich viel in Gleich¬
niſſen und Anſpielungen aus, und bey einer
inneren, menſchenverſtaͤndigen Tuͤchtigkeit be¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="85"/>
betraf, die man nicht &#x017F;o leicht ablegt und<lb/>
umtau&#x017F;cht.</p><lb/>
        <p>Ich war na&#x0364;mlich in dem oberdeut&#x017F;chen<lb/>
Dialect geboren und erzogen, und obgleich<lb/>
mein Vater &#x017F;ich &#x017F;tets einer gewi&#x017F;&#x017F;en Reinheit<lb/>
der Sprache befliß und uns Kinder auf das,<lb/>
was man wirklich Ma&#x0364;ngel jenes Idioms nen¬<lb/>
nen kann, von Jugend an aufmerk&#x017F;am ge¬<lb/>
macht und zu einem be&#x017F;&#x017F;eren Sprechen vor¬<lb/>
bereitet hatte; &#x017F;o blieben mir doch gar man¬<lb/>
che tiefer liegende Eigenheiten, die ich, weil<lb/>
&#x017F;ie mir ihrer Naiveta&#x0364;t wegen gefielen, mit<lb/>
Behagen hervorhob, und mir dadurch von<lb/>
meinen neuen Mitbu&#x0364;rgern jedesmal einen &#x017F;tren¬<lb/>
gen Verweis zuzog. Der Oberdeut&#x017F;che na&#x0364;<lb/>
lich, und vielleicht vorzu&#x0364;glich derjenige, welcher<lb/>
dem Rhein und Main anwohnt, (denn gro¬<lb/>
ße Flu&#x0364;ße haben, wie das Meeresufer, immer<lb/>
etwas Belebendes,) dru&#x0364;ckt &#x017F;ich viel in Gleich¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en und An&#x017F;pielungen aus, und bey einer<lb/>
inneren, men&#x017F;chenver&#x017F;ta&#x0364;ndigen Tu&#x0364;chtigkeit be¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0093] betraf, die man nicht ſo leicht ablegt und umtauſcht. Ich war naͤmlich in dem oberdeutſchen Dialect geboren und erzogen, und obgleich mein Vater ſich ſtets einer gewiſſen Reinheit der Sprache befliß und uns Kinder auf das, was man wirklich Maͤngel jenes Idioms nen¬ nen kann, von Jugend an aufmerkſam ge¬ macht und zu einem beſſeren Sprechen vor¬ bereitet hatte; ſo blieben mir doch gar man¬ che tiefer liegende Eigenheiten, die ich, weil ſie mir ihrer Naivetaͤt wegen gefielen, mit Behagen hervorhob, und mir dadurch von meinen neuen Mitbuͤrgern jedesmal einen ſtren¬ gen Verweis zuzog. Der Oberdeutſche naͤm¬ lich, und vielleicht vorzuͤglich derjenige, welcher dem Rhein und Main anwohnt, (denn gro¬ ße Fluͤße haben, wie das Meeresufer, immer etwas Belebendes,) druͤckt ſich viel in Gleich¬ niſſen und Anſpielungen aus, und bey einer inneren, menſchenverſtaͤndigen Tuͤchtigkeit be¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/93
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/93>, abgerufen am 26.05.2024.