Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

dient er sich sprüchwörtlicher Redensarten. In
beyden Fällen ist er öfters derb, doch, wenn
man auf den Zweck des Ausdruckes sieht, im¬
mer gehörig; nur mag freylich manchmal et¬
was mit unterlaufen, was gegen ein zarteres
Ohr sich anstößig erweist.

Jede Provinz liebt ihren Dialect: denn
er ist doch eigentlich das Element, in wel¬
chem die Seele ihren Athem schöpft. Mit
welchem Eigensinn aber die meißnische Mund¬
art die übrigen zu beherrschen, ja eine Zeit
lang auszuschließen gewußt hat, ist Jeder¬
mann bekannt. Wir haben viele Jahre un¬
ter diesem pedantischen Regimente gelitten,
und nur durch vielfachen Widerstreit haben
sich die sämmtlichen Provinzen in ihre alten
Rechte wieder eingesetzt. Was ein junger
lebhafter Mensch unter diesem beständigen
Hofmeistern ausgestanden habe, wird derjeni¬
ge leicht ermessen, der bedenkt, daß nun mit
der Aussprache, in deren Veränderung man

dient er ſich ſpruͤchwoͤrtlicher Redensarten. In
beyden Faͤllen iſt er oͤfters derb, doch, wenn
man auf den Zweck des Ausdruckes ſieht, im¬
mer gehoͤrig; nur mag freylich manchmal et¬
was mit unterlaufen, was gegen ein zarteres
Ohr ſich anſtoͤßig erweiſt.

Jede Provinz liebt ihren Dialect: denn
er iſt doch eigentlich das Element, in wel¬
chem die Seele ihren Athem ſchoͤpft. Mit
welchem Eigenſinn aber die meißniſche Mund¬
art die uͤbrigen zu beherrſchen, ja eine Zeit
lang auszuſchließen gewußt hat, iſt Jeder¬
mann bekannt. Wir haben viele Jahre un¬
ter dieſem pedantiſchen Regimente gelitten,
und nur durch vielfachen Widerſtreit haben
ſich die ſaͤmmtlichen Provinzen in ihre alten
Rechte wieder eingeſetzt. Was ein junger
lebhafter Menſch unter dieſem beſtaͤndigen
Hofmeiſtern ausgeſtanden habe, wird derjeni¬
ge leicht ermeſſen, der bedenkt, daß nun mit
der Ausſprache, in deren Veraͤnderung man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="86"/>
dient er &#x017F;ich &#x017F;pru&#x0364;chwo&#x0364;rtlicher Redensarten. In<lb/>
beyden Fa&#x0364;llen i&#x017F;t er o&#x0364;fters derb, doch, wenn<lb/>
man auf den Zweck des Ausdruckes &#x017F;ieht, im¬<lb/>
mer geho&#x0364;rig; nur mag freylich manchmal et¬<lb/>
was mit unterlaufen, was gegen ein zarteres<lb/>
Ohr &#x017F;ich an&#x017F;to&#x0364;ßig erwei&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Jede Provinz liebt ihren Dialect: denn<lb/>
er i&#x017F;t doch eigentlich das Element, in wel¬<lb/>
chem die Seele ihren Athem &#x017F;cho&#x0364;pft. Mit<lb/>
welchem Eigen&#x017F;inn aber die meißni&#x017F;che Mund¬<lb/>
art die u&#x0364;brigen zu beherr&#x017F;chen, ja eine Zeit<lb/>
lang auszu&#x017F;chließen gewußt hat, i&#x017F;t Jeder¬<lb/>
mann bekannt. Wir haben viele Jahre un¬<lb/>
ter die&#x017F;em pedanti&#x017F;chen Regimente gelitten,<lb/>
und nur durch vielfachen Wider&#x017F;treit haben<lb/>
&#x017F;ich die &#x017F;a&#x0364;mmtlichen Provinzen in ihre alten<lb/>
Rechte wieder einge&#x017F;etzt. Was ein junger<lb/>
lebhafter Men&#x017F;ch unter die&#x017F;em be&#x017F;ta&#x0364;ndigen<lb/>
Hofmei&#x017F;tern ausge&#x017F;tanden habe, wird derjeni¬<lb/>
ge leicht erme&#x017F;&#x017F;en, der bedenkt, daß nun mit<lb/>
der Aus&#x017F;prache, in deren Vera&#x0364;nderung man<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0094] dient er ſich ſpruͤchwoͤrtlicher Redensarten. In beyden Faͤllen iſt er oͤfters derb, doch, wenn man auf den Zweck des Ausdruckes ſieht, im¬ mer gehoͤrig; nur mag freylich manchmal et¬ was mit unterlaufen, was gegen ein zarteres Ohr ſich anſtoͤßig erweiſt. Jede Provinz liebt ihren Dialect: denn er iſt doch eigentlich das Element, in wel¬ chem die Seele ihren Athem ſchoͤpft. Mit welchem Eigenſinn aber die meißniſche Mund¬ art die uͤbrigen zu beherrſchen, ja eine Zeit lang auszuſchließen gewußt hat, iſt Jeder¬ mann bekannt. Wir haben viele Jahre un¬ ter dieſem pedantiſchen Regimente gelitten, und nur durch vielfachen Widerſtreit haben ſich die ſaͤmmtlichen Provinzen in ihre alten Rechte wieder eingeſetzt. Was ein junger lebhafter Menſch unter dieſem beſtaͤndigen Hofmeiſtern ausgeſtanden habe, wird derjeni¬ ge leicht ermeſſen, der bedenkt, daß nun mit der Ausſprache, in deren Veraͤnderung man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/94
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/94>, abgerufen am 21.11.2024.