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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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auszudrücken suchte. Dieses Verfahren moch¬
te zu dem des übrigen Pariser Theaterperso¬
nals nicht passen. Er stand allein, jene hiel¬
ten sich an einander geschlossen, und er, hart¬
näckig genug auf seinem Sinne bestehend,
verließ lieber Paris und kam durch Stra߬
burg. Dort sahen wir ihn die Rolle des
August im Cinna, des Mithridat und
andere dergleichen, mit der wahrsten natürlich¬
sten Würde spielen. Als ein schöner großer
Mann trat er auf, mehr schlank als stark,
nicht eigentlich von imposantem, aber von ed¬
lem gefälligem Wesen. Sein Spiel war
überlegt und ruhig, ohne kalt zu seyn, und
kräftig genug, wo es erfordert wurde. Er
war ein sehr geübter Künstler, und von den
wenigen, die das Künstliche ganz in die Na¬
tur und die Natur ganz in die Kunst zu ver¬
wandeln wissen. Diese sind es eigentlich, de¬
ren misverstandene Vorzüge die Lehre von
der falschen Natürlichkeit jederzeit veranlassen.

auszudruͤcken ſuchte. Dieſes Verfahren moch¬
te zu dem des uͤbrigen Pariſer Theaterperſo¬
nals nicht paſſen. Er ſtand allein, jene hiel¬
ten ſich an einander geſchloſſen, und er, hart¬
naͤckig genug auf ſeinem Sinne beſtehend,
verließ lieber Paris und kam durch Stra߬
burg. Dort ſahen wir ihn die Rolle des
Auguſt im Cinna, des Mithridat und
andere dergleichen, mit der wahrſten natuͤrlich¬
ſten Wuͤrde ſpielen. Als ein ſchoͤner großer
Mann trat er auf, mehr ſchlank als ſtark,
nicht eigentlich von impoſantem, aber von ed¬
lem gefaͤlligem Weſen. Sein Spiel war
uͤberlegt und ruhig, ohne kalt zu ſeyn, und
kraͤftig genug, wo es erfordert wurde. Er
war ein ſehr geuͤbter Kuͤnſtler, und von den
wenigen, die das Kuͤnſtliche ganz in die Na¬
tur und die Natur ganz in die Kunſt zu ver¬
wandeln wiſſen. Dieſe ſind es eigentlich, de¬
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[101/0109] auszudruͤcken ſuchte. Dieſes Verfahren moch¬ te zu dem des uͤbrigen Pariſer Theaterperſo¬ nals nicht paſſen. Er ſtand allein, jene hiel¬ ten ſich an einander geſchloſſen, und er, hart¬ naͤckig genug auf ſeinem Sinne beſtehend, verließ lieber Paris und kam durch Stra߬ burg. Dort ſahen wir ihn die Rolle des Auguſt im Cinna, des Mithridat und andere dergleichen, mit der wahrſten natuͤrlich¬ ſten Wuͤrde ſpielen. Als ein ſchoͤner großer Mann trat er auf, mehr ſchlank als ſtark, nicht eigentlich von impoſantem, aber von ed¬ lem gefaͤlligem Weſen. Sein Spiel war uͤberlegt und ruhig, ohne kalt zu ſeyn, und kraͤftig genug, wo es erfordert wurde. Er war ein ſehr geuͤbter Kuͤnſtler, und von den wenigen, die das Kuͤnſtliche ganz in die Na¬ tur und die Natur ganz in die Kunſt zu ver¬ wandeln wiſſen. Dieſe ſind es eigentlich, de¬ ren misverſtandene Vorzuͤge die Lehre von der falſchen Natuͤrlichkeit jederzeit veranlaſſen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/109>, abgerufen am 23.11.2024.