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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Das gelingt denn auch ganz gut, bis irgend
ein physisches oder moralisches Hinderniß da¬
zutritt, um das Unverhältnißmäßige der Kräfte
zu dem Unternehmen in's Klare zu bringen.

Das Juristische trieb ich mit so viel
Fleiß als nöthig war, um die Promotion
mit einigen Ehren zu absolviren; das Me¬
dicinische reizte mich, weil es mir die Na¬
tur nach allen Seiten wo nicht aufschloß, doch
gewahr werden ließ, und ich war daran
durch Umgang und Gewohnheit gebunden;
der Gesellschaft mußte ich auch einige Zeit
und Aufmerksamkeit widmen: denn in man¬
chen Familien war mir mehreres zu Lieb und
zu Ehren geschehn. Aber alles dieß wäre zu
tragen und fortzuführen gewesen, hätte nicht
das was Herder mir auferlegt, unendlich auf
mir gelastet. Er hatte den Vorhang zerrissen,
der mir die Armuth der deutschen Literatur
bedeckte; er hatte mir so manches Vorurtheil
mit Grausamkeit zerstört; an dem vaterländi¬

Das gelingt denn auch ganz gut, bis irgend
ein phyſiſches oder moraliſches Hinderniß da¬
zutritt, um das Unverhaͤltnißmaͤßige der Kraͤfte
zu dem Unternehmen in's Klare zu bringen.

Das Juriſtiſche trieb ich mit ſo viel
Fleiß als noͤthig war, um die Promotion
mit einigen Ehren zu abſolviren; das Me¬
diciniſche reizte mich, weil es mir die Na¬
tur nach allen Seiten wo nicht aufſchloß, doch
gewahr werden ließ, und ich war daran
durch Umgang und Gewohnheit gebunden;
der Geſellſchaft mußte ich auch einige Zeit
und Aufmerkſamkeit widmen: denn in man¬
chen Familien war mir mehreres zu Lieb und
zu Ehren geſchehn. Aber alles dieß waͤre zu
tragen und fortzufuͤhren geweſen, haͤtte nicht
das was Herder mir auferlegt, unendlich auf
mir gelaſtet. Er hatte den Vorhang zerriſſen,
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[7/0015] Das gelingt denn auch ganz gut, bis irgend ein phyſiſches oder moraliſches Hinderniß da¬ zutritt, um das Unverhaͤltnißmaͤßige der Kraͤfte zu dem Unternehmen in's Klare zu bringen. Das Juriſtiſche trieb ich mit ſo viel Fleiß als noͤthig war, um die Promotion mit einigen Ehren zu abſolviren; das Me¬ diciniſche reizte mich, weil es mir die Na¬ tur nach allen Seiten wo nicht aufſchloß, doch gewahr werden ließ, und ich war daran durch Umgang und Gewohnheit gebunden; der Geſellſchaft mußte ich auch einige Zeit und Aufmerkſamkeit widmen: denn in man¬ chen Familien war mir mehreres zu Lieb und zu Ehren geſchehn. Aber alles dieß waͤre zu tragen und fortzufuͤhren geweſen, haͤtte nicht das was Herder mir auferlegt, unendlich auf mir gelaſtet. Er hatte den Vorhang zerriſſen, der mir die Armuth der deutſchen Literatur bedeckte; er hatte mir ſo manches Vorurtheil mit Grauſamkeit zerſtoͤrt; an dem vaterlaͤndi¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/15>, abgerufen am 23.11.2024.