Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Näher an Alter stand mir sein Bruder
Georg, der sich von Treptow, aus den
Diensten des Herzogs Eugen von Würtem¬
berg wieder zurückgezogen hatte. An Welt¬
kenntniß, an practischem Geschick vorgeschrit¬
ten, war er in seiner Uebersicht der deutschen
und auswärtigen Literatur auch nicht zurück
geblieben. Er schrieb, wie vormals, gern in
allen Sprachen, regte mich aber dadurch nicht
weiter an, da ich mich dem Deutschen aus¬
schließlich widmend, die übrigen nur in so
weit cultivirte, daß ich die besten Autoren im
Original einigermaßen zu lesen im Stande
war. Seine Rechtschaffenheit zeigte sich im¬
mer als dieselbe, ja die Bekanntschaft mit
der Welt mochte ihn veranlaßt haben, stren¬
ger, sogar starrer auf seinen wohlmeynenden
Gesinnungen zu beharren.

Durch diese beyden Freunde ward ich denn
auch gar bald mit Merk bekannt, dem ich
durch Herdern, von Straßburg aus, nicht

Naͤher an Alter ſtand mir ſein Bruder
Georg, der ſich von Treptow, aus den
Dienſten des Herzogs Eugen von Wuͤrtem¬
berg wieder zuruͤckgezogen hatte. An Welt¬
kenntniß, an practiſchem Geſchick vorgeſchrit¬
ten, war er in ſeiner Ueberſicht der deutſchen
und auswaͤrtigen Literatur auch nicht zuruͤck
geblieben. Er ſchrieb, wie vormals, gern in
allen Sprachen, regte mich aber dadurch nicht
weiter an, da ich mich dem Deutſchen aus¬
ſchließlich widmend, die uͤbrigen nur in ſo
weit cultivirte, daß ich die beſten Autoren im
Original einigermaßen zu leſen im Stande
war. Seine Rechtſchaffenheit zeigte ſich im¬
mer als dieſelbe, ja die Bekanntſchaft mit
der Welt mochte ihn veranlaßt haben, ſtren¬
ger, ſogar ſtarrer auf ſeinen wohlmeynenden
Geſinnungen zu beharren.

Durch dieſe beyden Freunde ward ich denn
auch gar bald mit Merk bekannt, dem ich
durch Herdern, von Straßburg aus, nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0150" n="142"/>
        <p>Na&#x0364;her an Alter &#x017F;tand mir &#x017F;ein Bruder<lb/>
Georg, der &#x017F;ich von Treptow, aus den<lb/>
Dien&#x017F;ten des Herzogs Eugen von Wu&#x0364;rtem¬<lb/>
berg wieder zuru&#x0364;ckgezogen hatte. An Welt¬<lb/>
kenntniß, an practi&#x017F;chem Ge&#x017F;chick vorge&#x017F;chrit¬<lb/>
ten, war er in &#x017F;einer Ueber&#x017F;icht der deut&#x017F;chen<lb/>
und auswa&#x0364;rtigen Literatur auch nicht zuru&#x0364;ck<lb/>
geblieben. Er &#x017F;chrieb, wie vormals, gern in<lb/>
allen Sprachen, regte mich aber dadurch nicht<lb/>
weiter an, da ich mich dem Deut&#x017F;chen aus¬<lb/>
&#x017F;chließlich widmend, die u&#x0364;brigen nur in &#x017F;o<lb/>
weit cultivirte, daß ich die be&#x017F;ten Autoren im<lb/>
Original einigermaßen zu le&#x017F;en im Stande<lb/>
war. Seine Recht&#x017F;chaffenheit zeigte &#x017F;ich im¬<lb/>
mer als die&#x017F;elbe, ja die Bekannt&#x017F;chaft mit<lb/>
der Welt mochte ihn veranlaßt haben, &#x017F;tren¬<lb/>
ger, &#x017F;ogar &#x017F;tarrer auf &#x017F;einen wohlmeynenden<lb/>
Ge&#x017F;innungen zu beharren.</p><lb/>
        <p>Durch die&#x017F;e beyden Freunde ward ich denn<lb/>
auch gar bald mit <hi rendition="#g">Merk</hi> bekannt, dem ich<lb/>
durch Herdern, von Straßburg aus, nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0150] Naͤher an Alter ſtand mir ſein Bruder Georg, der ſich von Treptow, aus den Dienſten des Herzogs Eugen von Wuͤrtem¬ berg wieder zuruͤckgezogen hatte. An Welt¬ kenntniß, an practiſchem Geſchick vorgeſchrit¬ ten, war er in ſeiner Ueberſicht der deutſchen und auswaͤrtigen Literatur auch nicht zuruͤck geblieben. Er ſchrieb, wie vormals, gern in allen Sprachen, regte mich aber dadurch nicht weiter an, da ich mich dem Deutſchen aus¬ ſchließlich widmend, die uͤbrigen nur in ſo weit cultivirte, daß ich die beſten Autoren im Original einigermaßen zu leſen im Stande war. Seine Rechtſchaffenheit zeigte ſich im¬ mer als dieſelbe, ja die Bekanntſchaft mit der Welt mochte ihn veranlaßt haben, ſtren¬ ger, ſogar ſtarrer auf ſeinen wohlmeynenden Geſinnungen zu beharren. Durch dieſe beyden Freunde ward ich denn auch gar bald mit Merk bekannt, dem ich durch Herdern, von Straßburg aus, nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/150
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/150>, abgerufen am 19.05.2024.