ungünstig angekündigt war. Dieser eigne Mann, der auf mein Leben den größten Ein¬ fluß gehabt, war von Geburt ein Darm¬ städter. Von seiner früheren Bildung wüßte ich wenig zu sagen. Nach vollendeten Stu¬ dien führte er einen Jüngling nach der Schweiz, wo er eine Zeit lang blieb, und beweibt zu¬ rückkam. Als ich ihn kennen lernte, war er Kriegszahlmeister in Darmstadt. Mit Ver¬ stand und Geist geboren, hatte er sich sehr schöne Kenntnisse, besonders der neueren Lite¬ raturen, erworben, und sich in der Welt- und Menschengeschichte nach allen Zeiten und Ge¬ genden umgesehn. Treffend und scharf zu ur¬ theilen war ihm gegeben. Man schätzte ihn als einen wackern entschlossenen Geschäftsmann und fertigen Rechner. Mit Leichtigkeit trat er überall ein, als ein sehr angenehmer Ge¬ sellschafter für die, denen er sich durch bei¬ ßende Züge nicht furchtbar gemacht hatte. Er war lang und hager von Gestalt, eine her¬ vordringende spitze Nase zeichnete sich aus,
unguͤnſtig angekuͤndigt war. Dieſer eigne Mann, der auf mein Leben den groͤßten Ein¬ fluß gehabt, war von Geburt ein Darm¬ ſtaͤdter. Von ſeiner fruͤheren Bildung wuͤßte ich wenig zu ſagen. Nach vollendeten Stu¬ dien fuͤhrte er einen Juͤngling nach der Schweiz, wo er eine Zeit lang blieb, und beweibt zu¬ ruͤckkam. Als ich ihn kennen lernte, war er Kriegszahlmeiſter in Darmſtadt. Mit Ver¬ ſtand und Geiſt geboren, hatte er ſich ſehr ſchoͤne Kenntniſſe, beſonders der neueren Lite¬ raturen, erworben, und ſich in der Welt- und Menſchengeſchichte nach allen Zeiten und Ge¬ genden umgeſehn. Treffend und ſcharf zu ur¬ theilen war ihm gegeben. Man ſchaͤtzte ihn als einen wackern entſchloſſenen Geſchaͤftsmann und fertigen Rechner. Mit Leichtigkeit trat er uͤberall ein, als ein ſehr angenehmer Ge¬ ſellſchafter fuͤr die, denen er ſich durch bei¬ ßende Zuͤge nicht furchtbar gemacht hatte. Er war lang und hager von Geſtalt, eine her¬ vordringende ſpitze Naſe zeichnete ſich aus,
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unguͤnſtig angekuͤndigt war. Dieſer eigne
Mann, der auf mein Leben den groͤßten Ein¬
fluß gehabt, war von Geburt ein Darm¬
ſtaͤdter. Von ſeiner fruͤheren Bildung wuͤßte
ich wenig zu ſagen. Nach vollendeten Stu¬
dien fuͤhrte er einen Juͤngling nach der Schweiz,
wo er eine Zeit lang blieb, und beweibt zu¬
ruͤckkam. Als ich ihn kennen lernte, war er
Kriegszahlmeiſter in Darmſtadt. Mit Ver¬
ſtand und Geiſt geboren, hatte er ſich ſehr
ſchoͤne Kenntniſſe, beſonders der neueren Lite¬
raturen, erworben, und ſich in der Welt- und
Menſchengeſchichte nach allen Zeiten und Ge¬
genden umgeſehn. Treffend und ſcharf zu ur¬
theilen war ihm gegeben. Man ſchaͤtzte ihn
als einen wackern entſchloſſenen Geſchaͤftsmann
und fertigen Rechner. Mit Leichtigkeit trat
er uͤberall ein, als ein ſehr angenehmer Ge¬
ſellſchafter fuͤr die, denen er ſich durch bei¬
ßende Zuͤge nicht furchtbar gemacht hatte. Er
war lang und hager von Geſtalt, eine her¬
vordringende ſpitze Naſe zeichnete ſich aus,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/151>, abgerufen am 23.11.2024.
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