gend hinführte. Allein wie verwundert war ich, als mir anstatt einer sauertöpfischen Ge¬ sellschaft, ein drittes academisches Leben ent¬ gegensprang. An einer großen Wirthstafel traf ich beynah sämmtliche Gesandtschaftsun¬ tergeordnete, junge muntere Leute, beysam¬ men; sie nahmen mich freundlich auf, und es blieb mir schon den ersten Tag kein Ge¬ heimniß, daß sie ihr mittägiges Beysammen¬ seyn durch eine romantische Fiction erheitert hatten. Sie stellten nämlich, mit Geist und Munterkeit, eine Rittertafel vor. Obenan saß der Heermeister, zur Seite desselben der Kanzler, sodann die wichtigsten Staatsbeam¬ ten; nun folgten die Ritter, nach ihrer An¬ ciennetät; Fremde hingegen die zusprachen, mußten mit den untersten Plätzen vorlieb neh¬ men, und für sie war das Gespräch meist un¬ verständlich, weil sich in der Gesellschaft die Sprache, außer den Ritterausdrücken, noch mit manchen Anspielungen bereichert hatte. Einem Jeden war ein Rittername zugelegt,
gend hinfuͤhrte. Allein wie verwundert war ich, als mir anſtatt einer ſauertoͤpfiſchen Ge¬ ſellſchaft, ein drittes academiſches Leben ent¬ gegenſprang. An einer großen Wirthstafel traf ich beynah ſaͤmmtliche Geſandtſchaftsun¬ tergeordnete, junge muntere Leute, beyſam¬ men; ſie nahmen mich freundlich auf, und es blieb mir ſchon den erſten Tag kein Ge¬ heimniß, daß ſie ihr mittaͤgiges Beyſammen¬ ſeyn durch eine romantiſche Fiction erheitert hatten. Sie ſtellten naͤmlich, mit Geiſt und Munterkeit, eine Rittertafel vor. Obenan ſaß der Heermeiſter, zur Seite deſſelben der Kanzler, ſodann die wichtigſten Staatsbeam¬ ten; nun folgten die Ritter, nach ihrer An¬ ciennetaͤt; Fremde hingegen die zuſprachen, mußten mit den unterſten Plaͤtzen vorlieb neh¬ men, und fuͤr ſie war das Geſpraͤch meiſt un¬ verſtaͤndlich, weil ſich in der Geſellſchaft die Sprache, außer den Ritterausdruͤcken, noch mit manchen Anſpielungen bereichert hatte. Einem Jeden war ein Rittername zugelegt,
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gend hinfuͤhrte. Allein wie verwundert war
ich, als mir anſtatt einer ſauertoͤpfiſchen Ge¬
ſellſchaft, ein drittes academiſches Leben ent¬
gegenſprang. An einer großen Wirthstafel
traf ich beynah ſaͤmmtliche Geſandtſchaftsun¬
tergeordnete, junge muntere Leute, beyſam¬
men; ſie nahmen mich freundlich auf, und
es blieb mir ſchon den erſten Tag kein Ge¬
heimniß, daß ſie ihr mittaͤgiges Beyſammen¬
ſeyn durch eine romantiſche Fiction erheitert
hatten. Sie ſtellten naͤmlich, mit Geiſt und
Munterkeit, eine Rittertafel vor. Obenan
ſaß der Heermeiſter, zur Seite deſſelben der
Kanzler, ſodann die wichtigſten Staatsbeam¬
ten; nun folgten die Ritter, nach ihrer An¬
ciennetaͤt; Fremde hingegen die zuſprachen,
mußten mit den unterſten Plaͤtzen vorlieb neh¬
men, und fuͤr ſie war das Geſpraͤch meiſt un¬
verſtaͤndlich, weil ſich in der Geſellſchaft die
Sprache, außer den Ritterausdruͤcken, noch
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/214>, abgerufen am 27.11.2024.
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