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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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thut sich der Freyheitssinn der Menschen im¬
mer mehr hervor, und je freyer man ist, de¬
sto freyer will man seyn. Man will nichts
über sich dulden; wir wollen nicht beengt seyn,
Niemand soll beengt seyn, und dieß zarte ja
kranke Gefühl erscheint in schönen Seelen un¬
ter der Form der Gerechtigkeit. Dieser Geist
und Sinn zeigte sich damals überall, und ge¬
rade da nur wenige bedruckt waren, wollte
man auch diese von zufälligem Druck befreyn,
und so entstand eine gewisse sittliche Befeh¬
dung, Einmischung der Einzelnen ins Regi¬
ment, die mit löblichen Anfängen, zu unab¬
sehbar unglücklichen Folgen hinführte.

Voltaire hatte durch den Schutz, den er
der Familie Calas angedeihen ließ, großes
Aufsehn erregt und sich ehrwürdig gemacht.
Für Deutschland fast noch auffallender und
wichtiger war das Unternehmen Lavaters ge¬
gen den Landvogt gewesen. Der ästhetische
Sinn, mit dem jugendlichen Muth verbun¬

thut ſich der Freyheitsſinn der Menſchen im¬
mer mehr hervor, und je freyer man iſt, de¬
ſto freyer will man ſeyn. Man will nichts
uͤber ſich dulden; wir wollen nicht beengt ſeyn,
Niemand ſoll beengt ſeyn, und dieß zarte ja
kranke Gefuͤhl erſcheint in ſchoͤnen Seelen un¬
ter der Form der Gerechtigkeit. Dieſer Geiſt
und Sinn zeigte ſich damals uͤberall, und ge¬
rade da nur wenige bedruckt waren, wollte
man auch dieſe von zufaͤlligem Druck befreyn,
und ſo entſtand eine gewiſſe ſittliche Befeh¬
dung, Einmiſchung der Einzelnen ins Regi¬
ment, die mit loͤblichen Anfaͤngen, zu unab¬
ſehbar ungluͤcklichen Folgen hinfuͤhrte.

Voltaire hatte durch den Schutz, den er
der Familie Calas angedeihen ließ, großes
Aufſehn erregt und ſich ehrwuͤrdig gemacht.
Fuͤr Deutſchland faſt noch auffallender und
wichtiger war das Unternehmen Lavaters ge¬
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[213/0221] thut ſich der Freyheitsſinn der Menſchen im¬ mer mehr hervor, und je freyer man iſt, de¬ ſto freyer will man ſeyn. Man will nichts uͤber ſich dulden; wir wollen nicht beengt ſeyn, Niemand ſoll beengt ſeyn, und dieß zarte ja kranke Gefuͤhl erſcheint in ſchoͤnen Seelen un¬ ter der Form der Gerechtigkeit. Dieſer Geiſt und Sinn zeigte ſich damals uͤberall, und ge¬ rade da nur wenige bedruckt waren, wollte man auch dieſe von zufaͤlligem Druck befreyn, und ſo entſtand eine gewiſſe ſittliche Befeh¬ dung, Einmiſchung der Einzelnen ins Regi¬ ment, die mit loͤblichen Anfaͤngen, zu unab¬ ſehbar ungluͤcklichen Folgen hinfuͤhrte. Voltaire hatte durch den Schutz, den er der Familie Calas angedeihen ließ, großes Aufſehn erregt und ſich ehrwuͤrdig gemacht. Fuͤr Deutſchland faſt noch auffallender und wichtiger war das Unternehmen Lavaters ge¬ gen den Landvogt geweſen. Der aͤſthetiſche Sinn, mit dem jugendlichen Muth verbun¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/221>, abgerufen am 27.11.2024.