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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Wir entwarfen demnach unsern Plan,
was ror und nach Tische geschehn sollte,
machten einander wechselseitig mit neuen gesel¬
ligen Spielen bekannt, waren einig und ver¬
gnügt, als uns die Glocke nach der Kirche
rief, wo ich denn, an ihrer Seite, eine et¬
was trockene Predigt des Vaters nicht zu
lang fand.

Zeitverkürzend ist immer die Nähe der
Geliebten, doch verging mir diese Stunde auch
unter besonderem Nachdenken. Ich wiederholte
mir die Vorzüge, die sie so eben auf's frey¬
ste vor mir entwickelte: besonnene Heiterkeit,
Naivetät mit Bewußtseyn, Frohsinn mit
Voraussehn; Eigenschaften, die unverträglich
scheinen, die sich aber bey ihr zusammenfan¬
den und ihr Aeußeres gar hold bezeichneten.
Nun hatte ich aber auch ernstere Betrachtun¬
gen über mich selbst anzustellen, die einer
freyen Heiterkeit eher Eintrag thaten.

Wir entwarfen demnach unſern Plan,
was ror und nach Tiſche geſchehn ſollte,
machten einander wechſelſeitig mit neuen geſel¬
ligen Spielen bekannt, waren einig und ver¬
gnuͤgt, als uns die Glocke nach der Kirche
rief, wo ich denn, an ihrer Seite, eine et¬
was trockene Predigt des Vaters nicht zu
lang fand.

Zeitverkuͤrzend iſt immer die Naͤhe der
Geliebten, doch verging mir dieſe Stunde auch
unter beſonderem Nachdenken. Ich wiederholte
mir die Vorzuͤge, die ſie ſo eben auf's frey¬
ſte vor mir entwickelte: beſonnene Heiterkeit,
Naivetaͤt mit Bewußtſeyn, Frohſinn mit
Vorausſehn; Eigenſchaften, die unvertraͤglich
ſcheinen, die ſich aber bey ihr zuſammenfan¬
den und ihr Aeußeres gar hold bezeichneten.
Nun hatte ich aber auch ernſtere Betrachtun¬
gen uͤber mich ſelbſt anzuſtellen, die einer
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[15/0023] Wir entwarfen demnach unſern Plan, was ror und nach Tiſche geſchehn ſollte, machten einander wechſelſeitig mit neuen geſel¬ ligen Spielen bekannt, waren einig und ver¬ gnuͤgt, als uns die Glocke nach der Kirche rief, wo ich denn, an ihrer Seite, eine et¬ was trockene Predigt des Vaters nicht zu lang fand. Zeitverkuͤrzend iſt immer die Naͤhe der Geliebten, doch verging mir dieſe Stunde auch unter beſonderem Nachdenken. Ich wiederholte mir die Vorzuͤge, die ſie ſo eben auf's frey¬ ſte vor mir entwickelte: beſonnene Heiterkeit, Naivetaͤt mit Bewußtſeyn, Frohſinn mit Vorausſehn; Eigenſchaften, die unvertraͤglich ſcheinen, die ſich aber bey ihr zuſammenfan¬ den und ihr Aeußeres gar hold bezeichneten. Nun hatte ich aber auch ernſtere Betrachtun¬ gen uͤber mich ſelbſt anzuſtellen, die einer freyen Heiterkeit eher Eintrag thaten.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/23>, abgerufen am 21.11.2024.