was die gute Meynung, die wir von uns selbst hegen, verletzen könnte, und ich bemerk¬ te nun erst, daß ich wirklich auf meine Schwe¬ ster eifersüchtig sey: eine Empfindung, die ich mir um so weniger verbarg, als seit meiner Rückkehr von Straßburg unser Verhältniß noch viel inniger geworden war. Wie viel Zeit hatten wir nicht gebraucht, um uns wech¬ selseitig die kleinen Herzensangelegenheiten, Liebes- und andere Händel mitzutheilen, die in der Zwischenzeit vorgefallen waren! und hatte sich nicht auch im Felde der Einbildungs¬ kraft vor mir eine neue Welt aufgethan, in die ich sie doch auch einführen mußte? Meine eignen kleinen Machwerke, eine weit ausge¬ breitete Weltpoesie, mußten ihr nach und nach bekannt werden. So übersetzte ich ihr aus dem Stegreife solche Homerische Stellen, an denen sie zunächst Antheil nehmen konnte. Die Clarkesche wörtliche Uebersetzung las ich deutsch, so gut es gehen wollte, herunter, mein Vortrag verwandelte sich gewöhnlich in
was die gute Meynung, die wir von uns ſelbſt hegen, verletzen koͤnnte, und ich bemerk¬ te nun erſt, daß ich wirklich auf meine Schwe¬ ſter eiferſuͤchtig ſey: eine Empfindung, die ich mir um ſo weniger verbarg, als ſeit meiner Ruͤckkehr von Straßburg unſer Verhaͤltniß noch viel inniger geworden war. Wie viel Zeit hatten wir nicht gebraucht, um uns wech¬ ſelſeitig die kleinen Herzensangelegenheiten, Liebes- und andere Haͤndel mitzutheilen, die in der Zwiſchenzeit vorgefallen waren! und hatte ſich nicht auch im Felde der Einbildungs¬ kraft vor mir eine neue Welt aufgethan, in die ich ſie doch auch einfuͤhren mußte? Meine eignen kleinen Machwerke, eine weit ausge¬ breitete Weltpoeſie, mußten ihr nach und nach bekannt werden. So uͤberſetzte ich ihr aus dem Stegreife ſolche Homeriſche Stellen, an denen ſie zunaͤchſt Antheil nehmen konnte. Die Clarkeſche woͤrtliche Ueberſetzung las ich deutſch, ſo gut es gehen wollte, herunter, mein Vortrag verwandelte ſich gewoͤhnlich in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0264"n="256"/>
was die gute Meynung, die wir von uns<lb/>ſelbſt hegen, verletzen koͤnnte, und ich bemerk¬<lb/>
te nun erſt, daß ich wirklich auf meine Schwe¬<lb/>ſter eiferſuͤchtig ſey: eine Empfindung, die ich<lb/>
mir um ſo weniger verbarg, als ſeit meiner<lb/>
Ruͤckkehr von Straßburg unſer Verhaͤltniß<lb/>
noch viel inniger geworden war. Wie viel<lb/>
Zeit hatten wir nicht gebraucht, um uns wech¬<lb/>ſelſeitig die kleinen Herzensangelegenheiten,<lb/>
Liebes- und andere Haͤndel mitzutheilen, die<lb/>
in der Zwiſchenzeit vorgefallen waren! und<lb/>
hatte ſich nicht auch im Felde der Einbildungs¬<lb/>
kraft vor mir eine neue Welt aufgethan, in<lb/>
die ich ſie doch auch einfuͤhren mußte? Meine<lb/>
eignen kleinen Machwerke, eine weit ausge¬<lb/>
breitete Weltpoeſie, mußten ihr nach und nach<lb/>
bekannt werden. So uͤberſetzte ich ihr aus<lb/>
dem Stegreife ſolche Homeriſche Stellen, an<lb/>
denen ſie zunaͤchſt Antheil nehmen konnte.<lb/>
Die Clarkeſche woͤrtliche Ueberſetzung las ich<lb/>
deutſch, ſo gut es gehen wollte, herunter,<lb/>
mein Vortrag verwandelte ſich gewoͤhnlich in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[256/0264]
was die gute Meynung, die wir von uns
ſelbſt hegen, verletzen koͤnnte, und ich bemerk¬
te nun erſt, daß ich wirklich auf meine Schwe¬
ſter eiferſuͤchtig ſey: eine Empfindung, die ich
mir um ſo weniger verbarg, als ſeit meiner
Ruͤckkehr von Straßburg unſer Verhaͤltniß
noch viel inniger geworden war. Wie viel
Zeit hatten wir nicht gebraucht, um uns wech¬
ſelſeitig die kleinen Herzensangelegenheiten,
Liebes- und andere Haͤndel mitzutheilen, die
in der Zwiſchenzeit vorgefallen waren! und
hatte ſich nicht auch im Felde der Einbildungs¬
kraft vor mir eine neue Welt aufgethan, in
die ich ſie doch auch einfuͤhren mußte? Meine
eignen kleinen Machwerke, eine weit ausge¬
breitete Weltpoeſie, mußten ihr nach und nach
bekannt werden. So uͤberſetzte ich ihr aus
dem Stegreife ſolche Homeriſche Stellen, an
denen ſie zunaͤchſt Antheil nehmen konnte.
Die Clarkeſche woͤrtliche Ueberſetzung las ich
deutſch, ſo gut es gehen wollte, herunter,
mein Vortrag verwandelte ſich gewoͤhnlich in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/264>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.