Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Denn wie es angeborene Antipathieen giebt,
so wie gewisse Menschen die Katzen nicht lei¬
den können, andern dieses oder jenes in der
Seele zuwider ist, so war Merk ein Todfeind
aller academischen Bürger, die nun freylich
zu jener Zeit in Gießen sich in der tiefsten
Rohheit gefielen. Mir waren sie ganz recht:
ich hätte sie wohl auch als Masken in eins
meiner Fastnachtsspiele brauchen können; aber
ihm verdarb ihr Anblick bey Tage, und des
Nachts ihr Gebrüll, jede Art von gutem Hu¬
mor. Er hatte die schönste Zeit seiner jungen
Tage in der französischen Schweiz zugebracht
und nachher den erfreulichen Umgang von
Hof-, Welt- und Geschäftsleuten und gebilde¬
ten Literatoren genossen; mehrere Militärper¬
sonen, in denen ein Streben nach Geistescul¬
tur rege geworden, suchten ihn auf, und so
bewegte er sein Leben in einem sehr gebilde¬
ten Zirkel. Daß ihn daher jenes Unwesen
ärgerte, war nicht zu verwundern; allein sei¬
ne Abneigung gegen die Studiosen war wirk¬

Denn wie es angeborene Antipathieen giebt,
ſo wie gewiſſe Menſchen die Katzen nicht lei¬
den koͤnnen, andern dieſes oder jenes in der
Seele zuwider iſt, ſo war Merk ein Todfeind
aller academiſchen Buͤrger, die nun freylich
zu jener Zeit in Gießen ſich in der tiefſten
Rohheit gefielen. Mir waren ſie ganz recht:
ich haͤtte ſie wohl auch als Masken in eins
meiner Faſtnachtsſpiele brauchen koͤnnen; aber
ihm verdarb ihr Anblick bey Tage, und des
Nachts ihr Gebruͤll, jede Art von gutem Hu¬
mor. Er hatte die ſchoͤnſte Zeit ſeiner jungen
Tage in der franzoͤſiſchen Schweiz zugebracht
und nachher den erfreulichen Umgang von
Hof-, Welt- und Geſchaͤftsleuten und gebilde¬
ten Literatoren genoſſen; mehrere Militaͤrper¬
ſonen, in denen ein Streben nach Geiſtescul¬
tur rege geworden, ſuchten ihn auf, und ſo
bewegte er ſein Leben in einem ſehr gebilde¬
ten Zirkel. Daß ihn daher jenes Unweſen
aͤrgerte, war nicht zu verwundern; allein ſei¬
ne Abneigung gegen die Studioſen war wirk¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0268" n="260"/>
Denn wie es angeborene Antipathieen giebt,<lb/>
&#x017F;o wie gewi&#x017F;&#x017F;e Men&#x017F;chen die Katzen nicht lei¬<lb/>
den ko&#x0364;nnen, andern die&#x017F;es oder jenes in der<lb/>
Seele zuwider i&#x017F;t, &#x017F;o war Merk ein Todfeind<lb/>
aller academi&#x017F;chen Bu&#x0364;rger, die nun freylich<lb/>
zu jener Zeit in Gießen &#x017F;ich in der tief&#x017F;ten<lb/>
Rohheit gefielen. Mir waren &#x017F;ie ganz recht:<lb/>
ich ha&#x0364;tte &#x017F;ie wohl auch als Masken in eins<lb/>
meiner Fa&#x017F;tnachts&#x017F;piele brauchen ko&#x0364;nnen; aber<lb/>
ihm verdarb ihr Anblick bey Tage, und des<lb/>
Nachts ihr Gebru&#x0364;ll, jede Art von gutem Hu¬<lb/>
mor. Er hatte die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Zeit &#x017F;einer jungen<lb/>
Tage in der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Schweiz zugebracht<lb/>
und nachher den erfreulichen Umgang von<lb/>
Hof-, Welt- und Ge&#x017F;cha&#x0364;ftsleuten und gebilde¬<lb/>
ten Literatoren geno&#x017F;&#x017F;en; mehrere Milita&#x0364;rper¬<lb/>
&#x017F;onen, in denen ein Streben nach Gei&#x017F;tescul¬<lb/>
tur rege geworden, &#x017F;uchten ihn auf, und &#x017F;o<lb/>
bewegte er &#x017F;ein Leben in einem &#x017F;ehr gebilde¬<lb/>
ten Zirkel. Daß ihn daher jenes Unwe&#x017F;en<lb/>
a&#x0364;rgerte, war nicht zu verwundern; allein &#x017F;ei¬<lb/>
ne Abneigung gegen die Studio&#x017F;en war wirk¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0268] Denn wie es angeborene Antipathieen giebt, ſo wie gewiſſe Menſchen die Katzen nicht lei¬ den koͤnnen, andern dieſes oder jenes in der Seele zuwider iſt, ſo war Merk ein Todfeind aller academiſchen Buͤrger, die nun freylich zu jener Zeit in Gießen ſich in der tiefſten Rohheit gefielen. Mir waren ſie ganz recht: ich haͤtte ſie wohl auch als Masken in eins meiner Faſtnachtsſpiele brauchen koͤnnen; aber ihm verdarb ihr Anblick bey Tage, und des Nachts ihr Gebruͤll, jede Art von gutem Hu¬ mor. Er hatte die ſchoͤnſte Zeit ſeiner jungen Tage in der franzoͤſiſchen Schweiz zugebracht und nachher den erfreulichen Umgang von Hof-, Welt- und Geſchaͤftsleuten und gebilde¬ ten Literatoren genoſſen; mehrere Militaͤrper¬ ſonen, in denen ein Streben nach Geiſtescul¬ tur rege geworden, ſuchten ihn auf, und ſo bewegte er ſein Leben in einem ſehr gebilde¬ ten Zirkel. Daß ihn daher jenes Unweſen aͤrgerte, war nicht zu verwundern; allein ſei¬ ne Abneigung gegen die Studioſen war wirk¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/268
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/268>, abgerufen am 25.11.2024.