schluß, den Ort zu verlassen. Er stellte mir eine Rheinreise, die er eben mit Frau und Sohn zu machen im Begriff sey, so reizend vor, und erregte die Sehnsucht, diejenigen Gegenstände endlich mit Augen zu sehn, von denen ich so oft mit Neid hatte erzählen hö¬ ren. Nun, als er sich entfernt hatte, trennte ich mich von Charlotten zwar mit reinerem Gewissen als von Friedriken, aber doch nicht ohne Schmerz. Auch dieses Verhältniß war durch Gewohnheit und Nachsicht leidenschaft¬ licher als billig von meiner Seite geworden; sie dagegen und ihr Bräutigam hielten sich mit Heiterkeit in einem Maaße, das nicht schöner und liebenswürdiger seyn konnte, und die eben hieraus entspringende Sicherheit ließ mich jede Gefahr vergessen. Indessen konnte ich mir nicht verbergen, daß diesem Abenteuer sein Ende bevorstehe: denn von der zunächst¬ erwarteten Beförderung des jungen Mannes hing die Verbindung mit dem liebenswürdi¬ gen Mädchen ab; und da der Mensch, wenn
ſchluß, den Ort zu verlaſſen. Er ſtellte mir eine Rheinreiſe, die er eben mit Frau und Sohn zu machen im Begriff ſey, ſo reizend vor, und erregte die Sehnſucht, diejenigen Gegenſtaͤnde endlich mit Augen zu ſehn, von denen ich ſo oft mit Neid hatte erzaͤhlen hoͤ¬ ren. Nun, als er ſich entfernt hatte, trennte ich mich von Charlotten zwar mit reinerem Gewiſſen als von Friedriken, aber doch nicht ohne Schmerz. Auch dieſes Verhaͤltniß war durch Gewohnheit und Nachſicht leidenſchaft¬ licher als billig von meiner Seite geworden; ſie dagegen und ihr Braͤutigam hielten ſich mit Heiterkeit in einem Maaße, das nicht ſchoͤner und liebenswuͤrdiger ſeyn konnte, und die eben hieraus entſpringende Sicherheit ließ mich jede Gefahr vergeſſen. Indeſſen konnte ich mir nicht verbergen, daß dieſem Abenteuer ſein Ende bevorſtehe: denn von der zunaͤchſt¬ erwarteten Befoͤrderung des jungen Mannes hing die Verbindung mit dem liebenswuͤrdi¬ gen Maͤdchen ab; und da der Menſch, wenn
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ſchluß, den Ort zu verlaſſen. Er ſtellte mir
eine Rheinreiſe, die er eben mit Frau und
Sohn zu machen im Begriff ſey, ſo reizend
vor, und erregte die Sehnſucht, diejenigen
Gegenſtaͤnde endlich mit Augen zu ſehn, von
denen ich ſo oft mit Neid hatte erzaͤhlen hoͤ¬
ren. Nun, als er ſich entfernt hatte, trennte
ich mich von Charlotten zwar mit reinerem
Gewiſſen als von Friedriken, aber doch nicht
ohne Schmerz. Auch dieſes Verhaͤltniß war
durch Gewohnheit und Nachſicht leidenſchaft¬
licher als billig von meiner Seite geworden;
ſie dagegen und ihr Braͤutigam hielten ſich
mit Heiterkeit in einem Maaße, das nicht
ſchoͤner und liebenswuͤrdiger ſeyn konnte, und
die eben hieraus entſpringende Sicherheit ließ
mich jede Gefahr vergeſſen. Indeſſen konnte
ich mir nicht verbergen, daß dieſem Abenteuer
ſein Ende bevorſtehe: denn von der zunaͤchſt¬
erwarteten Befoͤrderung des jungen Mannes
hing die Verbindung mit dem liebenswuͤrdi¬
gen Maͤdchen ab; und da der Menſch, wenn
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/271>, abgerufen am 25.11.2024.
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