des Volks gemäß, vor welchem man spielt. Aus dieser unmittelbaren Anwendbarkeit ent¬ springt der große Beyfall, dessen sie sich je¬ derzeit zu erfreuen haben. Diese waren im¬ mer im südlichen Deutschland zu Hause, wo man sie bis auf den heutigen Tag beybehält, und nur von Zeit zu Zeit dem Character der possenhaften Masken einige Veränderung zu geben, durch den Personenwechsel genöthigt ist. Doch nahm das deutsche Theater, dem ernsten Character der Nation gemäß, sehr bald eine Wendung nach dem Sittlichen, wel¬ che durch eine äußere Veranlassung noch mehr beschleunigt ward. Unter den strengen Chri¬ sten entstand nämlich die Frage, ob das Thea¬ ter zu den sündlichen und auf alle Fälle zu vermeidenden Dinge gehöre, oder zu den gleichgültigen, welche dem Guten gut, und nur dem Bösen bös werden könnten. Stren¬ ge Eiferer verneinten das Letztere, und hiel¬ ten fest darüber, daß kein Geistlicher je ins Theater gehen solle. Nun konnte die Gegen¬
des Volks gemaͤß, vor welchem man ſpielt. Aus dieſer unmittelbaren Anwendbarkeit ent¬ ſpringt der große Beyfall, deſſen ſie ſich je¬ derzeit zu erfreuen haben. Dieſe waren im¬ mer im ſuͤdlichen Deutſchland zu Hauſe, wo man ſie bis auf den heutigen Tag beybehaͤlt, und nur von Zeit zu Zeit dem Character der poſſenhaften Masken einige Veraͤnderung zu geben, durch den Perſonenwechſel genoͤthigt iſt. Doch nahm das deutſche Theater, dem ernſten Character der Nation gemaͤß, ſehr bald eine Wendung nach dem Sittlichen, wel¬ che durch eine aͤußere Veranlaſſung noch mehr beſchleunigt ward. Unter den ſtrengen Chri¬ ſten entſtand naͤmlich die Frage, ob das Thea¬ ter zu den ſuͤndlichen und auf alle Faͤlle zu vermeidenden Dinge gehoͤre, oder zu den gleichguͤltigen, welche dem Guten gut, und nur dem Boͤſen boͤs werden koͤnnten. Stren¬ ge Eiferer verneinten das Letztere, und hiel¬ ten feſt daruͤber, daß kein Geiſtlicher je ins Theater gehen ſolle. Nun konnte die Gegen¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0302"n="294"/>
des Volks gemaͤß, vor welchem man ſpielt.<lb/>
Aus dieſer unmittelbaren Anwendbarkeit ent¬<lb/>ſpringt der große Beyfall, deſſen ſie ſich je¬<lb/>
derzeit zu erfreuen haben. Dieſe waren im¬<lb/>
mer im ſuͤdlichen Deutſchland zu Hauſe, wo<lb/>
man ſie bis auf den heutigen Tag beybehaͤlt,<lb/>
und nur von Zeit zu Zeit dem Character der<lb/>
poſſenhaften Masken einige Veraͤnderung zu<lb/>
geben, durch den Perſonenwechſel genoͤthigt<lb/>
iſt. Doch nahm das deutſche Theater, dem<lb/>
ernſten Character der Nation gemaͤß, ſehr<lb/>
bald eine Wendung nach dem Sittlichen, wel¬<lb/>
che durch eine aͤußere Veranlaſſung noch mehr<lb/>
beſchleunigt ward. Unter den ſtrengen Chri¬<lb/>ſten entſtand naͤmlich die Frage, ob das Thea¬<lb/>
ter zu den ſuͤndlichen und auf alle Faͤlle zu<lb/>
vermeidenden Dinge gehoͤre, oder zu den<lb/>
gleichguͤltigen, welche dem Guten gut, und<lb/>
nur dem Boͤſen boͤs werden koͤnnten. Stren¬<lb/>
ge Eiferer verneinten das Letztere, und hiel¬<lb/>
ten feſt daruͤber, daß kein Geiſtlicher je ins<lb/>
Theater gehen ſolle. Nun konnte die Gegen¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[294/0302]
des Volks gemaͤß, vor welchem man ſpielt.
Aus dieſer unmittelbaren Anwendbarkeit ent¬
ſpringt der große Beyfall, deſſen ſie ſich je¬
derzeit zu erfreuen haben. Dieſe waren im¬
mer im ſuͤdlichen Deutſchland zu Hauſe, wo
man ſie bis auf den heutigen Tag beybehaͤlt,
und nur von Zeit zu Zeit dem Character der
poſſenhaften Masken einige Veraͤnderung zu
geben, durch den Perſonenwechſel genoͤthigt
iſt. Doch nahm das deutſche Theater, dem
ernſten Character der Nation gemaͤß, ſehr
bald eine Wendung nach dem Sittlichen, wel¬
che durch eine aͤußere Veranlaſſung noch mehr
beſchleunigt ward. Unter den ſtrengen Chri¬
ſten entſtand naͤmlich die Frage, ob das Thea¬
ter zu den ſuͤndlichen und auf alle Faͤlle zu
vermeidenden Dinge gehoͤre, oder zu den
gleichguͤltigen, welche dem Guten gut, und
nur dem Boͤſen boͤs werden koͤnnten. Stren¬
ge Eiferer verneinten das Letztere, und hiel¬
ten feſt daruͤber, daß kein Geiſtlicher je ins
Theater gehen ſolle. Nun konnte die Gegen¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/302>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.