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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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rede nicht mit Nachdruck geführt werden, als
wenn man das Theater nicht allein für un¬
schädlich, sondern sogar für nützlich angab.
Um nützlich zu seyn, mußte es sittlich seyn,
und dazu bildete es sich im nördlichen Deutsch¬
land um so mehr aus, als durch einen ge¬
wissen Halbgeschmack die lustige Person ver¬
trieben ward, und obgleich geistreiche Köpfe
für sie einsprachen, dennoch weichen mußte,
da sie sich bereits von der Derbheit des deut¬
schen Hanswursts gegen die Niedlichkeit
und Zierlichkeit der italiänischen und franzö¬
sischen Harlekine gewendet hatte. Selbst
Scapin und Crispin verschwanden nach
und nach; den letztern habe ich zum letzten
Mal von Koch, in seinem hohen Alter spie¬
len sehn.

Schon die Richardsonschen Romane
hatten, die bürgerliche Welt auf eine zartere
Sittlichkeit aufmerksam gemacht. Die stren¬
gen und unausbleiblichen Folgen eines weib¬

rede nicht mit Nachdruck gefuͤhrt werden, als
wenn man das Theater nicht allein fuͤr un¬
ſchaͤdlich, ſondern ſogar fuͤr nuͤtzlich angab.
Um nuͤtzlich zu ſeyn, mußte es ſittlich ſeyn,
und dazu bildete es ſich im noͤrdlichen Deutſch¬
land um ſo mehr aus, als durch einen ge¬
wiſſen Halbgeſchmack die luſtige Perſon ver¬
trieben ward, und obgleich geiſtreiche Koͤpfe
fuͤr ſie einſprachen, dennoch weichen mußte,
da ſie ſich bereits von der Derbheit des deut¬
ſchen Hanswurſts gegen die Niedlichkeit
und Zierlichkeit der italiaͤniſchen und franzoͤ¬
ſiſchen Harlekine gewendet hatte. Selbſt
Scapin und Crispin verſchwanden nach
und nach; den letztern habe ich zum letzten
Mal von Koch, in ſeinem hohen Alter ſpie¬
len ſehn.

Schon die Richardſonſchen Romane
hatten, die buͤrgerliche Welt auf eine zartere
Sittlichkeit aufmerkſam gemacht. Die ſtren¬
gen und unausbleiblichen Folgen eines weib¬

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[295/0303] rede nicht mit Nachdruck gefuͤhrt werden, als wenn man das Theater nicht allein fuͤr un¬ ſchaͤdlich, ſondern ſogar fuͤr nuͤtzlich angab. Um nuͤtzlich zu ſeyn, mußte es ſittlich ſeyn, und dazu bildete es ſich im noͤrdlichen Deutſch¬ land um ſo mehr aus, als durch einen ge¬ wiſſen Halbgeſchmack die luſtige Perſon ver¬ trieben ward, und obgleich geiſtreiche Koͤpfe fuͤr ſie einſprachen, dennoch weichen mußte, da ſie ſich bereits von der Derbheit des deut¬ ſchen Hanswurſts gegen die Niedlichkeit und Zierlichkeit der italiaͤniſchen und franzoͤ¬ ſiſchen Harlekine gewendet hatte. Selbſt Scapin und Crispin verſchwanden nach und nach; den letztern habe ich zum letzten Mal von Koch, in ſeinem hohen Alter ſpie¬ len ſehn. Schon die Richardſonſchen Romane hatten, die buͤrgerliche Welt auf eine zartere Sittlichkeit aufmerkſam gemacht. Die ſtren¬ gen und unausbleiblichen Folgen eines weib¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/303>, abgerufen am 23.11.2024.