Der Deutsche, gut und großmüthig von Natur, will Niemand gemishandelt wissen. Weil aber kein Mensch, wenn er auch noch so gut denkt, sicher ist, daß man ihm nicht etwas gegen seine Neigung unterschiebe, auch das Lustspiel überhaupt immer etwas Scha¬ denfreude bey dem Zuschauer voraussetzt oder erweckt, wenn es behagen soll; so gerieth man, auf einem natürlichen Wege, zu einem bisher für unnatürlich gehaltenen Benehmen: dieses war, die höheren Stände herabzusetzen und sie mehr oder weniger anzutasten. Die pro¬ saische und poetische Satyre hatte sich bisher immer gehütet, Hof und Adel zu berühren. Rabener enthielt sich nach jener Seite hin alles Spottes, und blieb in einem niederen Kreise. Zachariä beschäftigt sich viel mit Land¬ edelleuten, stellt ihre Liebhabereyen und Eigen¬ heiten comisch dar, aber ohne Misachtung. Thümmels Wilhelmine, eine kleine geistreiche Composition, so angenehm als kühn, erwarb sich großen Beyfall, vielleicht auch
Der Deutſche, gut und großmuͤthig von Natur, will Niemand gemishandelt wiſſen. Weil aber kein Menſch, wenn er auch noch ſo gut denkt, ſicher iſt, daß man ihm nicht etwas gegen ſeine Neigung unterſchiebe, auch das Luſtſpiel uͤberhaupt immer etwas Scha¬ denfreude bey dem Zuſchauer vorausſetzt oder erweckt, wenn es behagen ſoll; ſo gerieth man, auf einem natuͤrlichen Wege, zu einem bisher fuͤr unnatuͤrlich gehaltenen Benehmen: dieſes war, die hoͤheren Staͤnde herabzuſetzen und ſie mehr oder weniger anzutaſten. Die pro¬ ſaiſche und poetiſche Satyre hatte ſich bisher immer gehuͤtet, Hof und Adel zu beruͤhren. Rabener enthielt ſich nach jener Seite hin alles Spottes, und blieb in einem niederen Kreiſe. Zachariaͤ beſchaͤftigt ſich viel mit Land¬ edelleuten, ſtellt ihre Liebhabereyen und Eigen¬ heiten comiſch dar, aber ohne Misachtung. Thuͤmmels Wilhelmine, eine kleine geiſtreiche Compoſition, ſo angenehm als kuͤhn, erwarb ſich großen Beyfall, vielleicht auch
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Der Deutſche, gut und großmuͤthig von
Natur, will Niemand gemishandelt wiſſen.
Weil aber kein Menſch, wenn er auch noch
ſo gut denkt, ſicher iſt, daß man ihm nicht
etwas gegen ſeine Neigung unterſchiebe, auch
das Luſtſpiel uͤberhaupt immer etwas Scha¬
denfreude bey dem Zuſchauer vorausſetzt oder
erweckt, wenn es behagen ſoll; ſo gerieth man,
auf einem natuͤrlichen Wege, zu einem bisher
fuͤr unnatuͤrlich gehaltenen Benehmen: dieſes
war, die hoͤheren Staͤnde herabzuſetzen und
ſie mehr oder weniger anzutaſten. Die pro¬
ſaiſche und poetiſche Satyre hatte ſich bisher
immer gehuͤtet, Hof und Adel zu beruͤhren.
Rabener enthielt ſich nach jener Seite hin
alles Spottes, und blieb in einem niederen
Kreiſe. Zachariaͤ beſchaͤftigt ſich viel mit Land¬
edelleuten, ſtellt ihre Liebhabereyen und Eigen¬
heiten comiſch dar, aber ohne Misachtung.
Thuͤmmels Wilhelmine, eine kleine
geiſtreiche Compoſition, ſo angenehm als kuͤhn,
erwarb ſich großen Beyfall, vielleicht auch
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/307>, abgerufen am 23.11.2024.
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