Uebergang geschah hauptsächlich durch eine Eigenheit des Verfassers, die sogar das Selbst¬ gespräch zum Zwiegespräch umbildete.
Gewöhnt am liebsten seine Zeit in Ge¬ sellschaft zuzubringen, verwandelte er auch das einsame Denken zur geselligen Unterhaltung, und zwar auf folgende Weise. Er pflegte nämlich, wenn er sich allein sah, irgend eine Person seiner Bekanntschaft im Geiste zu sich zu rufen. Er bat sie, nieder zu sitzen, ging an ihr auf und ab, blieb vor ihr stehen, und verhandelte mit ihr den Gegenstand, der ihm eben im Sinne lag. Hierauf antwortete sie gelegentlich, oder gab durch die gewöhnliche Mimik ihr Zu- oder Abstimmen zu erkennen; wie denn jeder Mensch hierin etwas Eignes hat. Sodann fuhr der Sprechende fort, dasjenige was dem Gaste zu gefallen schien, weiter auszuführen, oder was derselbe mis¬ billigte, zu bedingen, näher zu bestimmen, und gab auch wohl zuletzt seine These gefäl¬
Uebergang geſchah hauptſaͤchlich durch eine Eigenheit des Verfaſſers, die ſogar das Selbſt¬ geſpraͤch zum Zwiegeſpraͤch umbildete.
Gewoͤhnt am liebſten ſeine Zeit in Ge¬ ſellſchaft zuzubringen, verwandelte er auch das einſame Denken zur geſelligen Unterhaltung, und zwar auf folgende Weiſe. Er pflegte naͤmlich, wenn er ſich allein ſah, irgend eine Perſon ſeiner Bekanntſchaft im Geiſte zu ſich zu rufen. Er bat ſie, nieder zu ſitzen, ging an ihr auf und ab, blieb vor ihr ſtehen, und verhandelte mit ihr den Gegenſtand, der ihm eben im Sinne lag. Hierauf antwortete ſie gelegentlich, oder gab durch die gewoͤhnliche Mimik ihr Zu- oder Abſtimmen zu erkennen; wie denn jeder Menſch hierin etwas Eignes hat. Sodann fuhr der Sprechende fort, dasjenige was dem Gaſte zu gefallen ſchien, weiter auszufuͤhren, oder was derſelbe mis¬ billigte, zu bedingen, naͤher zu beſtimmen, und gab auch wohl zuletzt ſeine Theſe gefaͤl¬
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Uebergang geſchah hauptſaͤchlich durch eine
Eigenheit des Verfaſſers, die ſogar das Selbſt¬
geſpraͤch zum Zwiegeſpraͤch umbildete.
Gewoͤhnt am liebſten ſeine Zeit in Ge¬
ſellſchaft zuzubringen, verwandelte er auch das
einſame Denken zur geſelligen Unterhaltung,
und zwar auf folgende Weiſe. Er pflegte
naͤmlich, wenn er ſich allein ſah, irgend eine
Perſon ſeiner Bekanntſchaft im Geiſte zu ſich
zu rufen. Er bat ſie, nieder zu ſitzen, ging
an ihr auf und ab, blieb vor ihr ſtehen, und
verhandelte mit ihr den Gegenſtand, der ihm
eben im Sinne lag. Hierauf antwortete ſie
gelegentlich, oder gab durch die gewoͤhnliche
Mimik ihr Zu- oder Abſtimmen zu erkennen;
wie denn jeder Menſch hierin etwas Eignes
hat. Sodann fuhr der Sprechende fort,
dasjenige was dem Gaſte zu gefallen ſchien,
weiter auszufuͤhren, oder was derſelbe mis¬
billigte, zu bedingen, naͤher zu beſtimmen,
und gab auch wohl zuletzt ſeine Theſe gefaͤl¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/325>, abgerufen am 23.11.2024.
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