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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Es ist etwas so Unnatürliches, daß der
Mensch sich von sich selbst losreiße, sich nicht
allein beschädige, sondern vernichte, daß er
meistentheils zu mechanischen Mitteln greift,
um seinen Vorsatz ins Werk zu richten. Wenn
Ajax in sein Schwerdt fällt, so ist es die
Last seines Körpers, die ihm den letzten Dienst
erweiset. Wenn der Krieger seinen Schildträ¬
ger verpflichtet, ihn nicht in die Hände der
Feinde gerathen zu lassen, so ist es auch eine
äußere Kraft, deren er sich versichert, nur
eine moralische statt einer physischen. Frau¬
en suchen im Wasser die Kühlung ihres Ver¬
zweifelns, und das höchst mechanische Mittel
des Schießgewehrs sichert eine schnelle That
mit der geringsten Anstrengung. Des Er¬
hängens erwähnt man nicht gern, weil es
ein unedler Tod ist. In England kann es
am ersten begegnen, weil man dort von Ju¬
gend auf so manchen hängen sieht, ohne daß
die Strafe gerade entehrend ist. Durch Gift,
durch Oeffnung der Adern gedenkt man nur

Es iſt etwas ſo Unnatuͤrliches, daß der
Menſch ſich von ſich ſelbſt losreiße, ſich nicht
allein beſchaͤdige, ſondern vernichte, daß er
meiſtentheils zu mechaniſchen Mitteln greift,
um ſeinen Vorſatz ins Werk zu richten. Wenn
Ajax in ſein Schwerdt faͤllt, ſo iſt es die
Laſt ſeines Koͤrpers, die ihm den letzten Dienſt
erweiſet. Wenn der Krieger ſeinen Schildtraͤ¬
ger verpflichtet, ihn nicht in die Haͤnde der
Feinde gerathen zu laſſen, ſo iſt es auch eine
aͤußere Kraft, deren er ſich verſichert, nur
eine moraliſche ſtatt einer phyſiſchen. Frau¬
en ſuchen im Waſſer die Kuͤhlung ihres Ver¬
zweifelns, und das hoͤchſt mechaniſche Mittel
des Schießgewehrs ſichert eine ſchnelle That
mit der geringſten Anſtrengung. Des Er¬
haͤngens erwaͤhnt man nicht gern, weil es
ein unedler Tod iſt. In England kann es
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[335/0343] Es iſt etwas ſo Unnatuͤrliches, daß der Menſch ſich von ſich ſelbſt losreiße, ſich nicht allein beſchaͤdige, ſondern vernichte, daß er meiſtentheils zu mechaniſchen Mitteln greift, um ſeinen Vorſatz ins Werk zu richten. Wenn Ajax in ſein Schwerdt faͤllt, ſo iſt es die Laſt ſeines Koͤrpers, die ihm den letzten Dienſt erweiſet. Wenn der Krieger ſeinen Schildtraͤ¬ ger verpflichtet, ihn nicht in die Haͤnde der Feinde gerathen zu laſſen, ſo iſt es auch eine aͤußere Kraft, deren er ſich verſichert, nur eine moraliſche ſtatt einer phyſiſchen. Frau¬ en ſuchen im Waſſer die Kuͤhlung ihres Ver¬ zweifelns, und das hoͤchſt mechaniſche Mittel des Schießgewehrs ſichert eine ſchnelle That mit der geringſten Anſtrengung. Des Er¬ haͤngens erwaͤhnt man nicht gern, weil es ein unedler Tod iſt. In England kann es am erſten begegnen, weil man dort von Ju¬ gend auf ſo manchen haͤngen ſieht, ohne daß die Strafe gerade entehrend iſt. Durch Gift, durch Oeffnung der Adern gedenkt man nur

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/343>, abgerufen am 23.11.2024.