Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

meine Absicht entdeckt hatte. Freylich war
es hier abermals der Stoff, der eigentlich die
Wirkung hervorbrachte, und so waren sie ge¬
rade in einer der meinigen entgegengesetzten
Stimmung: denn ich hatte mich durch diese
Composition, mehr als durch jede andere,
aus einem stürmischen Elemente gerettet, auf
dem ich durch eigne und fremde Schuld,
durch zufällige und gewählte Lebensweise, durch
Vorsatz und Uebereilung, durch Hartnäckig¬
keit und Nachgeben, auf die gewaltsamste
Art hin und wieder getrieben worden. Ich
fühlte mich, wie nach einer Generalbeichte,
wieder froh und frey, und zu einem neuen
Leben berechtigt. Das alte Hausmittel war
mir dießmal vortrefflich zu statten gekommen.
Wie ich mich nun aber dadurch erleichtert
und aufgeklärt fühlte, die Wirklichkeit in
Poesie verwandelt zu haben, so verwirrten
sich meine Freunde daran, indem sie glaub¬
ten, man müsse die Poesie in Wirklichkeit
verwandeln, einen solchen Roman nachspie¬

meine Abſicht entdeckt hatte. Freylich war
es hier abermals der Stoff, der eigentlich die
Wirkung hervorbrachte, und ſo waren ſie ge¬
rade in einer der meinigen entgegengeſetzten
Stimmung: denn ich hatte mich durch dieſe
Compoſition, mehr als durch jede andere,
aus einem ſtuͤrmiſchen Elemente gerettet, auf
dem ich durch eigne und fremde Schuld,
durch zufaͤllige und gewaͤhlte Lebensweiſe, durch
Vorſatz und Uebereilung, durch Hartnaͤckig¬
keit und Nachgeben, auf die gewaltſamſte
Art hin und wieder getrieben worden. Ich
fuͤhlte mich, wie nach einer Generalbeichte,
wieder froh und frey, und zu einem neuen
Leben berechtigt. Das alte Hausmittel war
mir dießmal vortrefflich zu ſtatten gekommen.
Wie ich mich nun aber dadurch erleichtert
und aufgeklaͤrt fuͤhlte, die Wirklichkeit in
Poeſie verwandelt zu haben, ſo verwirrten
ſich meine Freunde daran, indem ſie glaub¬
ten, man muͤſſe die Poeſie in Wirklichkeit
verwandeln, einen ſolchen Roman nachſpie¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0353" n="345"/>
meine Ab&#x017F;icht entdeckt hatte. Freylich war<lb/>
es hier abermals der Stoff, der eigentlich die<lb/>
Wirkung hervorbrachte, und &#x017F;o waren &#x017F;ie ge¬<lb/>
rade in einer der meinigen entgegenge&#x017F;etzten<lb/>
Stimmung: denn ich hatte mich durch die&#x017F;e<lb/>
Compo&#x017F;ition, mehr als durch jede andere,<lb/>
aus einem &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;chen Elemente gerettet, auf<lb/>
dem ich durch eigne und fremde Schuld,<lb/>
durch zufa&#x0364;llige und gewa&#x0364;hlte Lebenswei&#x017F;e, durch<lb/>
Vor&#x017F;atz und Uebereilung, durch Hartna&#x0364;ckig¬<lb/>
keit und Nachgeben, auf die gewalt&#x017F;am&#x017F;te<lb/>
Art hin und wieder getrieben worden. Ich<lb/>
fu&#x0364;hlte mich, wie nach einer Generalbeichte,<lb/>
wieder froh und frey, und zu einem neuen<lb/>
Leben berechtigt. Das alte Hausmittel war<lb/>
mir dießmal vortrefflich zu &#x017F;tatten gekommen.<lb/>
Wie ich mich nun aber dadurch erleichtert<lb/>
und aufgekla&#x0364;rt fu&#x0364;hlte, die Wirklichkeit in<lb/>
Poe&#x017F;ie verwandelt zu haben, &#x017F;o verwirrten<lb/>
&#x017F;ich meine Freunde daran, indem &#x017F;ie glaub¬<lb/>
ten, man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e die Poe&#x017F;ie in Wirklichkeit<lb/>
verwandeln, einen &#x017F;olchen Roman nach&#x017F;pie¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0353] meine Abſicht entdeckt hatte. Freylich war es hier abermals der Stoff, der eigentlich die Wirkung hervorbrachte, und ſo waren ſie ge¬ rade in einer der meinigen entgegengeſetzten Stimmung: denn ich hatte mich durch dieſe Compoſition, mehr als durch jede andere, aus einem ſtuͤrmiſchen Elemente gerettet, auf dem ich durch eigne und fremde Schuld, durch zufaͤllige und gewaͤhlte Lebensweiſe, durch Vorſatz und Uebereilung, durch Hartnaͤckig¬ keit und Nachgeben, auf die gewaltſamſte Art hin und wieder getrieben worden. Ich fuͤhlte mich, wie nach einer Generalbeichte, wieder froh und frey, und zu einem neuen Leben berechtigt. Das alte Hausmittel war mir dießmal vortrefflich zu ſtatten gekommen. Wie ich mich nun aber dadurch erleichtert und aufgeklaͤrt fuͤhlte, die Wirklichkeit in Poeſie verwandelt zu haben, ſo verwirrten ſich meine Freunde daran, indem ſie glaub¬ ten, man muͤſſe die Poeſie in Wirklichkeit verwandeln, einen ſolchen Roman nachſpie¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/353
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/353>, abgerufen am 24.11.2024.