Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

für sich, so wie in allen Verhältnissen beste¬
hen, man suchte sie nur deutlich zu fassen
und lebhaft abzubilden. Alles Urtheil, billi¬
gend oder misbilligend, sollte sich vor den
Augen des Beschauers in lebendigen Formen
bewegen. Man könnte diese Productionen
belebte Sinngedichte nennen, die ohne Schär¬
fe und Spitzen, mit treffenden und entschei¬
denden Zügen reichlich ausgestattet waren.
Das Jahrmarktsfest ist ein solches, oder
vielmehr eine Sammlung solcher Epigramme.
Unter allen dort auftretenden Masken sind
wirkliche, in jener Societät lebende Glieder,
oder ihr wenigstens verbundene und einiger¬
maßen bekannte Personen gemeynt; aber der
Sinn des Räthsels blieb den meisten verbor¬
gen, alle lachten, und wenige wußten, daß
ihnen ihre eigensten Eigenheiten zum Scherze
dienten. Der Prolog zu Barths neue¬
sten Offenbarungen
gilt für einen Be¬
leg anderer Art; die kleinsten finden sich un¬
ter den gemischten Gedichten, sehr viele sind

fuͤr ſich, ſo wie in allen Verhaͤltniſſen beſte¬
hen, man ſuchte ſie nur deutlich zu faſſen
und lebhaft abzubilden. Alles Urtheil, billi¬
gend oder misbilligend, ſollte ſich vor den
Augen des Beſchauers in lebendigen Formen
bewegen. Man koͤnnte dieſe Productionen
belebte Sinngedichte nennen, die ohne Schaͤr¬
fe und Spitzen, mit treffenden und entſchei¬
denden Zuͤgen reichlich ausgeſtattet waren.
Das Jahrmarktsfeſt iſt ein ſolches, oder
vielmehr eine Sammlung ſolcher Epigramme.
Unter allen dort auftretenden Masken ſind
wirkliche, in jener Societaͤt lebende Glieder,
oder ihr wenigſtens verbundene und einiger¬
maßen bekannte Perſonen gemeynt; aber der
Sinn des Raͤthſels blieb den meiſten verbor¬
gen, alle lachten, und wenige wußten, daß
ihnen ihre eigenſten Eigenheiten zum Scherze
dienten. Der Prolog zu Barths neue¬
ſten Offenbarungen
gilt fuͤr einen Be¬
leg anderer Art; die kleinſten finden ſich un¬
ter den gemiſchten Gedichten, ſehr viele ſind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0370" n="362"/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich, &#x017F;o wie in allen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;te¬<lb/>
hen, man &#x017F;uchte &#x017F;ie nur deutlich zu fa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und lebhaft abzubilden. Alles Urtheil, billi¬<lb/>
gend oder misbilligend, &#x017F;ollte &#x017F;ich vor den<lb/>
Augen des Be&#x017F;chauers in lebendigen Formen<lb/>
bewegen. Man ko&#x0364;nnte die&#x017F;e Productionen<lb/>
belebte Sinngedichte nennen, die ohne Scha&#x0364;<lb/>
fe und Spitzen, mit treffenden und ent&#x017F;chei¬<lb/>
denden Zu&#x0364;gen reichlich ausge&#x017F;tattet waren.<lb/>
Das <hi rendition="#g">Jahrmarktsfe&#x017F;t</hi> i&#x017F;t ein &#x017F;olches, oder<lb/>
vielmehr eine Sammlung &#x017F;olcher Epigramme.<lb/>
Unter allen dort auftretenden Masken &#x017F;ind<lb/>
wirkliche, in jener Societa&#x0364;t lebende Glieder,<lb/>
oder ihr wenig&#x017F;tens verbundene und einiger¬<lb/>
maßen bekannte Per&#x017F;onen gemeynt; aber der<lb/>
Sinn des Ra&#x0364;th&#x017F;els blieb den mei&#x017F;ten verbor¬<lb/>
gen, alle lachten, und wenige wußten, daß<lb/>
ihnen ihre eigen&#x017F;ten Eigenheiten zum Scherze<lb/>
dienten. Der <hi rendition="#g">Prolog</hi> zu <hi rendition="#g">Barths neue¬<lb/>
&#x017F;ten Offenbarungen</hi> gilt fu&#x0364;r einen Be¬<lb/>
leg anderer Art; die klein&#x017F;ten finden &#x017F;ich un¬<lb/>
ter den gemi&#x017F;chten Gedichten, &#x017F;ehr viele &#x017F;ind<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0370] fuͤr ſich, ſo wie in allen Verhaͤltniſſen beſte¬ hen, man ſuchte ſie nur deutlich zu faſſen und lebhaft abzubilden. Alles Urtheil, billi¬ gend oder misbilligend, ſollte ſich vor den Augen des Beſchauers in lebendigen Formen bewegen. Man koͤnnte dieſe Productionen belebte Sinngedichte nennen, die ohne Schaͤr¬ fe und Spitzen, mit treffenden und entſchei¬ denden Zuͤgen reichlich ausgeſtattet waren. Das Jahrmarktsfeſt iſt ein ſolches, oder vielmehr eine Sammlung ſolcher Epigramme. Unter allen dort auftretenden Masken ſind wirkliche, in jener Societaͤt lebende Glieder, oder ihr wenigſtens verbundene und einiger¬ maßen bekannte Perſonen gemeynt; aber der Sinn des Raͤthſels blieb den meiſten verbor¬ gen, alle lachten, und wenige wußten, daß ihnen ihre eigenſten Eigenheiten zum Scherze dienten. Der Prolog zu Barths neue¬ ſten Offenbarungen gilt fuͤr einen Be¬ leg anderer Art; die kleinſten finden ſich un¬ ter den gemiſchten Gedichten, ſehr viele ſind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/370
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/370>, abgerufen am 25.11.2024.