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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Aeußerliche dieses merkwürdigen Menschen ist
schon umrissen, seines humoristischen Talents
mit Liebe gedacht: nun will ich von seinem
Character mehr in Resultaten als schildernd
sprechen, weil es unmöglich wäre, ihn durch
die Umschweife seines Lebensganges zu be¬
gleiten, und seine Eigenheiten darstellend zu
überliefern.

Man kennt jene Selbstquälerey, welche,
da man von außen und von andern keine
Noth hatte, an der Tagesordnung war, und
gerade die vorzüglichsten Geister beunruhigte.
Was gewöhnliche Menschen, die sich nicht
selbst beobachten, nur vorübergehend quält,
was sie sich aus dem Sinne zu schlagen su¬
chen, das ward von den besseren scharf be¬
merkt, beachtet, in Schriften, Briefen und
Tagebüchern aufbewahrt. Nun aber gesellten
sich die strengsten sittlichen Forderungen an
sich und andere zu der größten Fahrlässigkeit
im Thun, und ein aus dieser halben Selbst¬

Aeußerliche dieſes merkwuͤrdigen Menſchen iſt
ſchon umriſſen, ſeines humoriſtiſchen Talents
mit Liebe gedacht: nun will ich von ſeinem
Character mehr in Reſultaten als ſchildernd
ſprechen, weil es unmoͤglich waͤre, ihn durch
die Umſchweife ſeines Lebensganges zu be¬
gleiten, und ſeine Eigenheiten darſtellend zu
uͤberliefern.

Man kennt jene Selbſtquaͤlerey, welche,
da man von außen und von andern keine
Noth hatte, an der Tagesordnung war, und
gerade die vorzuͤglichſten Geiſter beunruhigte.
Was gewoͤhnliche Menſchen, die ſich nicht
ſelbſt beobachten, nur voruͤbergehend quaͤlt,
was ſie ſich aus dem Sinne zu ſchlagen ſu¬
chen, das ward von den beſſeren ſcharf be¬
merkt, beachtet, in Schriften, Briefen und
Tagebuͤchern aufbewahrt. Nun aber geſellten
ſich die ſtrengſten ſittlichen Forderungen an
ſich und andere zu der groͤßten Fahrlaͤſſigkeit
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[374/0382] Aeußerliche dieſes merkwuͤrdigen Menſchen iſt ſchon umriſſen, ſeines humoriſtiſchen Talents mit Liebe gedacht: nun will ich von ſeinem Character mehr in Reſultaten als ſchildernd ſprechen, weil es unmoͤglich waͤre, ihn durch die Umſchweife ſeines Lebensganges zu be¬ gleiten, und ſeine Eigenheiten darſtellend zu uͤberliefern. Man kennt jene Selbſtquaͤlerey, welche, da man von außen und von andern keine Noth hatte, an der Tagesordnung war, und gerade die vorzuͤglichſten Geiſter beunruhigte. Was gewoͤhnliche Menſchen, die ſich nicht ſelbſt beobachten, nur voruͤbergehend quaͤlt, was ſie ſich aus dem Sinne zu ſchlagen ſu¬ chen, das ward von den beſſeren ſcharf be¬ merkt, beachtet, in Schriften, Briefen und Tagebuͤchern aufbewahrt. Nun aber geſellten ſich die ſtrengſten ſittlichen Forderungen an ſich und andere zu der groͤßten Fahrlaͤſſigkeit im Thun, und ein aus dieſer halben Selbſt¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/382>, abgerufen am 26.11.2024.