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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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sehr belehrt, jedoch nicht gebildet fand: denn
meine Lage war ganz von der seinigen ver¬
schieden. Wer sittlich wirkt, verliert keine
seiner Bemühungen: denn es gedeiht davon
weit mehr, als das Evangelium vom Sä¬
manne allzu bescheiden eingesteht; wer aber
künstlerisch verfährt, der hat in jedem Werke
alles verloren, wenn es nicht als ein solches
anerkannt wird. Nun weiß man, wie unge¬
duldig meine lieben theilnehmenden Leser mich
zu machen pflegten, und aus welchen Ursachen
ich höchst abgeneigt war, mich mit ihnen zu
verständigen. Nun fühlte ich den Abstand
zwischen meiner und der Lavaterschen Wirk¬
samkeit nur allzu sehr: die seine galt in der
Gegenwart, die meine in der Abwesenheit;
wer mit ihm in der Ferne unzufrieden war, be¬
freundete sich ihm in der Nähe; und wer mich
nach meinen Werken für liebenswürdig hielt,
fand sich sehr getäuscht, wenn er an einen star¬
ren ablehnenden Menschen anstieß.

ſehr belehrt, jedoch nicht gebildet fand: denn
meine Lage war ganz von der ſeinigen ver¬
ſchieden. Wer ſittlich wirkt, verliert keine
ſeiner Bemuͤhungen: denn es gedeiht davon
weit mehr, als das Evangelium vom Saͤ¬
manne allzu beſcheiden eingeſteht; wer aber
kuͤnſtleriſch verfaͤhrt, der hat in jedem Werke
alles verloren, wenn es nicht als ein ſolches
anerkannt wird. Nun weiß man, wie unge¬
duldig meine lieben theilnehmenden Leſer mich
zu machen pflegten, und aus welchen Urſachen
ich hoͤchſt abgeneigt war, mich mit ihnen zu
verſtaͤndigen. Nun fuͤhlte ich den Abſtand
zwiſchen meiner und der Lavaterſchen Wirk¬
ſamkeit nur allzu ſehr: die ſeine galt in der
Gegenwart, die meine in der Abweſenheit;
wer mit ihm in der Ferne unzufrieden war, be¬
freundete ſich ihm in der Naͤhe; und wer mich
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[407/0415] ſehr belehrt, jedoch nicht gebildet fand: denn meine Lage war ganz von der ſeinigen ver¬ ſchieden. Wer ſittlich wirkt, verliert keine ſeiner Bemuͤhungen: denn es gedeiht davon weit mehr, als das Evangelium vom Saͤ¬ manne allzu beſcheiden eingeſteht; wer aber kuͤnſtleriſch verfaͤhrt, der hat in jedem Werke alles verloren, wenn es nicht als ein ſolches anerkannt wird. Nun weiß man, wie unge¬ duldig meine lieben theilnehmenden Leſer mich zu machen pflegten, und aus welchen Urſachen ich hoͤchſt abgeneigt war, mich mit ihnen zu verſtaͤndigen. Nun fuͤhlte ich den Abſtand zwiſchen meiner und der Lavaterſchen Wirk¬ ſamkeit nur allzu ſehr: die ſeine galt in der Gegenwart, die meine in der Abweſenheit; wer mit ihm in der Ferne unzufrieden war, be¬ freundete ſich ihm in der Naͤhe; und wer mich nach meinen Werken fuͤr liebenswuͤrdig hielt, fand ſich ſehr getaͤuſcht, wenn er an einen ſtar¬ ren ablehnenden Menſchen anſtieß.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/415>, abgerufen am 27.11.2024.