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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Merk, der von Darmstadt sogleich herüber¬
gekommen war, spielte den Mephistopheles,
spottete besonders über das Zubringen der Weib¬
lein, und als einige derselben die Zimmer die
man dem Propheten eingeräumt, und besonders
auch das Schlafzimmer, mit Aufmerksamkeit
untersuchten, sagte der Schalk: die frommen
Seelen wollten doch sehen, wo man den Herrn
hingelegt habe. -- Mit alle dem mußte er
sich so gut wie die andern exorcisiren lassen:
denn Lips, der Lavatern begleitete, zeichnete
sein Profil so ausführlich und brav, wie die
Bildnisse bedeutender und unbedeutender Men¬
schen, welche dereinst in dem großen Werke
der Physiognomik angehäuft werden sollten.

Für mich war der Umgang mit Lavatern
höchst wichtig und lehrreich: denn seine drin¬
genden Anregungen brachten mein ruhiges
künstlerisch beschauliches Wesen in Umtrieb;
freylich nicht zu meinem augenblicklichen Vor¬
theil, indem die Zerstreuung die mich schon

Merk, der von Darmſtadt ſogleich heruͤber¬
gekommen war, ſpielte den Mephiſtopheles,
ſpottete beſonders uͤber das Zubringen der Weib¬
lein, und als einige derſelben die Zimmer die
man dem Propheten eingeraͤumt, und beſonders
auch das Schlafzimmer, mit Aufmerkſamkeit
unterſuchten, ſagte der Schalk: die frommen
Seelen wollten doch ſehen, wo man den Herrn
hingelegt habe. — Mit alle dem mußte er
ſich ſo gut wie die andern exorciſiren laſſen:
denn Lips, der Lavatern begleitete, zeichnete
ſein Profil ſo ausfuͤhrlich und brav, wie die
Bildniſſe bedeutender und unbedeutender Men¬
ſchen, welche dereinſt in dem großen Werke
der Phyſiognomik angehaͤuft werden ſollten.

Fuͤr mich war der Umgang mit Lavatern
hoͤchſt wichtig und lehrreich: denn ſeine drin¬
genden Anregungen brachten mein ruhiges
kuͤnſtleriſch beſchauliches Weſen in Umtrieb;
freylich nicht zu meinem augenblicklichen Vor¬
theil, indem die Zerſtreuung die mich ſchon

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[408/0416] Merk, der von Darmſtadt ſogleich heruͤber¬ gekommen war, ſpielte den Mephiſtopheles, ſpottete beſonders uͤber das Zubringen der Weib¬ lein, und als einige derſelben die Zimmer die man dem Propheten eingeraͤumt, und beſonders auch das Schlafzimmer, mit Aufmerkſamkeit unterſuchten, ſagte der Schalk: die frommen Seelen wollten doch ſehen, wo man den Herrn hingelegt habe. — Mit alle dem mußte er ſich ſo gut wie die andern exorciſiren laſſen: denn Lips, der Lavatern begleitete, zeichnete ſein Profil ſo ausfuͤhrlich und brav, wie die Bildniſſe bedeutender und unbedeutender Men¬ ſchen, welche dereinſt in dem großen Werke der Phyſiognomik angehaͤuft werden ſollten. Fuͤr mich war der Umgang mit Lavatern hoͤchſt wichtig und lehrreich: denn ſeine drin¬ genden Anregungen brachten mein ruhiges kuͤnſtleriſch beſchauliches Weſen in Umtrieb; freylich nicht zu meinem augenblicklichen Vor¬ theil, indem die Zerſtreuung die mich ſchon

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/416>, abgerufen am 27.11.2024.