ner Wahn, indem er floh, eine wahre Be¬ trachtung über den Zustand zurückließ, in welchem sich immer junge Leute befinden, de¬ ren frühzeitige Neigungen sich keinen dauer¬ haften Erfolg versprechen dürfen. So wenig war mir geholfen, den Irrthum los zu seyn, daß Verstand und Ueberlegung mir nur noch schlimmer in diesem Falle mitspielten. Meine Leidenschaft wuchs, jemehr ich den Werth des trefflichen Mädchens kennen lernte, und die Zeit rückte heran, da ich so viel Liebes und Gutes, vielleicht auf immer, verlieren sollte.
Wir hatten eine Zeit lang zusammen still und anmuthig fortgelebt, als Freund Wey¬ land die Schalkheit beging, den Landpriester von Wakefield nach Sesenheim mitzubringen und mir ihn, da vom Vorlesen die Rede war, unvermuthet zu überreichen, als hätte es weiter gar nichts zu sagen. Ich wußte mich zu fassen und las so heiter und freymü¬ thig als ich nur konnte. Auch die Gesichter
ner Wahn, indem er floh, eine wahre Be¬ trachtung uͤber den Zuſtand zuruͤckließ, in welchem ſich immer junge Leute befinden, de¬ ren fruͤhzeitige Neigungen ſich keinen dauer¬ haften Erfolg verſprechen duͤrfen. So wenig war mir geholfen, den Irrthum los zu ſeyn, daß Verſtand und Ueberlegung mir nur noch ſchlimmer in dieſem Falle mitſpielten. Meine Leidenſchaft wuchs, jemehr ich den Werth des trefflichen Maͤdchens kennen lernte, und die Zeit ruͤckte heran, da ich ſo viel Liebes und Gutes, vielleicht auf immer, verlieren ſollte.
Wir hatten eine Zeit lang zuſammen ſtill und anmuthig fortgelebt, als Freund Wey¬ land die Schalkheit beging, den Landprieſter von Wakefield nach Seſenheim mitzubringen und mir ihn, da vom Vorleſen die Rede war, unvermuthet zu uͤberreichen, als haͤtte es weiter gar nichts zu ſagen. Ich wußte mich zu faſſen und las ſo heiter und freymuͤ¬ thig als ich nur konnte. Auch die Geſichter
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0044"n="36"/>
ner Wahn, indem er floh, eine wahre Be¬<lb/>
trachtung uͤber den Zuſtand zuruͤckließ, in<lb/>
welchem ſich immer junge Leute befinden, de¬<lb/>
ren fruͤhzeitige Neigungen ſich keinen dauer¬<lb/>
haften Erfolg verſprechen duͤrfen. So wenig<lb/>
war mir geholfen, den Irrthum los zu ſeyn,<lb/>
daß Verſtand und Ueberlegung mir nur noch<lb/>ſchlimmer in dieſem Falle mitſpielten. Meine<lb/>
Leidenſchaft wuchs, jemehr ich den Werth<lb/>
des trefflichen Maͤdchens kennen lernte, und<lb/>
die Zeit ruͤckte heran, da ich ſo viel Liebes und<lb/>
Gutes, vielleicht auf immer, verlieren ſollte.</p><lb/><p>Wir hatten eine Zeit lang zuſammen ſtill<lb/>
und anmuthig fortgelebt, als Freund Wey¬<lb/>
land die Schalkheit beging, den Landprieſter<lb/>
von Wakefield nach Seſenheim mitzubringen<lb/>
und mir ihn, da vom Vorleſen die Rede<lb/>
war, unvermuthet zu uͤberreichen, als haͤtte<lb/>
es weiter gar nichts zu ſagen. Ich wußte<lb/>
mich zu faſſen und las ſo heiter und freymuͤ¬<lb/>
thig als ich nur konnte. Auch die Geſichter<lb/></p></div></body></text></TEI>
[36/0044]
ner Wahn, indem er floh, eine wahre Be¬
trachtung uͤber den Zuſtand zuruͤckließ, in
welchem ſich immer junge Leute befinden, de¬
ren fruͤhzeitige Neigungen ſich keinen dauer¬
haften Erfolg verſprechen duͤrfen. So wenig
war mir geholfen, den Irrthum los zu ſeyn,
daß Verſtand und Ueberlegung mir nur noch
ſchlimmer in dieſem Falle mitſpielten. Meine
Leidenſchaft wuchs, jemehr ich den Werth
des trefflichen Maͤdchens kennen lernte, und
die Zeit ruͤckte heran, da ich ſo viel Liebes und
Gutes, vielleicht auf immer, verlieren ſollte.
Wir hatten eine Zeit lang zuſammen ſtill
und anmuthig fortgelebt, als Freund Wey¬
land die Schalkheit beging, den Landprieſter
von Wakefield nach Seſenheim mitzubringen
und mir ihn, da vom Vorleſen die Rede
war, unvermuthet zu uͤberreichen, als haͤtte
es weiter gar nichts zu ſagen. Ich wußte
mich zu faſſen und las ſo heiter und freymuͤ¬
thig als ich nur konnte. Auch die Geſichter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/44>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.