Noch war aber alles in der ersten Wir¬ kung und Gegenwirkung, gährend und sie¬ dend. Fritz Jacobi, der erste, den ich in dieses Chaos hineinblicken ließ, er, dessen Natur gleichfalls im Tiefsten arbeitete, nahm mein Vertrauen herzlich auf, erwiederte das¬ selbe und suchte mich in seinen Sinn einzu¬ leiten. Auch er empfand ein unaussprechli¬ ches geistiges Bedürfniß, auch er wollte es nicht durch fremde Hülfe beschwichtigt, son¬ dern aus sich selbst herausgebildet und aufge¬ klärt haben. Was er mir von dem Zustan¬ de seines Gemüthes mittheilte, konnte ich nicht fassen, um so weniger, als ich mir kei¬ nen Begriff von meinem eignen machen konn¬ te. Doch er, der in philosophischem Den¬ ken, selbst in Betrachtung des Spinoza, mir weit vorgeschritten war, suchte mein dunkles Bestreben zu leiten und aufzuklären. Eine solche reine Geistesverwandschaft war mir neu, und erregte ein leidenschaftliches Verlangen
Noch war aber alles in der erſten Wir¬ kung und Gegenwirkung, gaͤhrend und ſie¬ dend. Fritz Jacobi, der erſte, den ich in dieſes Chaos hineinblicken ließ, er, deſſen Natur gleichfalls im Tiefſten arbeitete, nahm mein Vertrauen herzlich auf, erwiederte daſ¬ ſelbe und ſuchte mich in ſeinen Sinn einzu¬ leiten. Auch er empfand ein unausſprechli¬ ches geiſtiges Beduͤrfniß, auch er wollte es nicht durch fremde Huͤlfe beſchwichtigt, ſon¬ dern aus ſich ſelbſt herausgebildet und aufge¬ klaͤrt haben. Was er mir von dem Zuſtan¬ de ſeines Gemuͤthes mittheilte, konnte ich nicht faſſen, um ſo weniger, als ich mir kei¬ nen Begriff von meinem eignen machen konn¬ te. Doch er, der in philoſophiſchem Den¬ ken, ſelbſt in Betrachtung des Spinoza, mir weit vorgeſchritten war, ſuchte mein dunkles Beſtreben zu leiten und aufzuklaͤren. Eine ſolche reine Geiſtesverwandſchaft war mir neu, und erregte ein leidenſchaftliches Verlangen
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Noch war aber alles in der erſten Wir¬
kung und Gegenwirkung, gaͤhrend und ſie¬
dend. Fritz Jacobi, der erſte, den ich in
dieſes Chaos hineinblicken ließ, er, deſſen
Natur gleichfalls im Tiefſten arbeitete, nahm
mein Vertrauen herzlich auf, erwiederte daſ¬
ſelbe und ſuchte mich in ſeinen Sinn einzu¬
leiten. Auch er empfand ein unausſprechli¬
ches geiſtiges Beduͤrfniß, auch er wollte es
nicht durch fremde Huͤlfe beſchwichtigt, ſon¬
dern aus ſich ſelbſt herausgebildet und aufge¬
klaͤrt haben. Was er mir von dem Zuſtan¬
de ſeines Gemuͤthes mittheilte, konnte ich
nicht faſſen, um ſo weniger, als ich mir kei¬
nen Begriff von meinem eignen machen konn¬
te. Doch er, der in philoſophiſchem Den¬
ken, ſelbſt in Betrachtung des Spinoza, mir
weit vorgeſchritten war, ſuchte mein dunkles
Beſtreben zu leiten und aufzuklaͤren. Eine
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/451>, abgerufen am 23.11.2024.
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