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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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und witzig verhalten. Hatten wir ihm das
Procul a Jove procul a fulmine gelten
lassen, doch aber bemerkt, daß beym Blitze
nicht sowohl vom Woher als vom Wohin
die Rede sey; so brachte er das alte Sprüch¬
lein, mit großen Herren sey Kirschessen nicht
gut, auf die Bahn. Wir erwiederten, es
sey noch schlimmer, mit genäschigen Leuten
aus Einem Korbe speisen. Das wollte er
nicht leugnen, hatte aber schnell einen ande¬
ren Spruchreim zur Hand, der uns in Ver¬
legenheit setzen sollte. Denn da Sprüchworte
und Denkreime vom Volke ausgehn, welches,
weil es gehorchen muß, doch wenigstens gern
reden mag, die Oberen dagegen durch die
That sich zu entschädigen wissen; da ferner
die Poesie des sechzehnten Jahrhunderts fast
durchaus kräftig didactisch ist: so kann es in
unserer Sprache an Ernst und Scherz nicht
fehlen, den man von unten nach oben hin¬
auf ausgeübt hat. Und so übten wir Jünge¬
ren uns nun auch von oben herunter, indem

und witzig verhalten. Hatten wir ihm das
Procul a Jove procul a fulmine gelten
laſſen, doch aber bemerkt, daß beym Blitze
nicht ſowohl vom Woher als vom Wohin
die Rede ſey; ſo brachte er das alte Spruͤch¬
lein, mit großen Herren ſey Kirſcheſſen nicht
gut, auf die Bahn. Wir erwiederten, es
ſey noch ſchlimmer, mit genaͤſchigen Leuten
aus Einem Korbe ſpeiſen. Das wollte er
nicht leugnen, hatte aber ſchnell einen ande¬
ren Spruchreim zur Hand, der uns in Ver¬
legenheit ſetzen ſollte. Denn da Spruͤchworte
und Denkreime vom Volke ausgehn, welches,
weil es gehorchen muß, doch wenigſtens gern
reden mag, die Oberen dagegen durch die
That ſich zu entſchaͤdigen wiſſen; da ferner
die Poeſie des ſechzehnten Jahrhunderts faſt
durchaus kraͤftig didactiſch iſt: ſo kann es in
unſerer Sprache an Ernſt und Scherz nicht
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auf ausgeuͤbt hat. Und ſo uͤbten wir Juͤnge¬
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[490/0498] und witzig verhalten. Hatten wir ihm das Procul a Jove procul a fulmine gelten laſſen, doch aber bemerkt, daß beym Blitze nicht ſowohl vom Woher als vom Wohin die Rede ſey; ſo brachte er das alte Spruͤch¬ lein, mit großen Herren ſey Kirſcheſſen nicht gut, auf die Bahn. Wir erwiederten, es ſey noch ſchlimmer, mit genaͤſchigen Leuten aus Einem Korbe ſpeiſen. Das wollte er nicht leugnen, hatte aber ſchnell einen ande¬ ren Spruchreim zur Hand, der uns in Ver¬ legenheit ſetzen ſollte. Denn da Spruͤchworte und Denkreime vom Volke ausgehn, welches, weil es gehorchen muß, doch wenigſtens gern reden mag, die Oberen dagegen durch die That ſich zu entſchaͤdigen wiſſen; da ferner die Poeſie des ſechzehnten Jahrhunderts faſt durchaus kraͤftig didactiſch iſt: ſo kann es in unſerer Sprache an Ernſt und Scherz nicht fehlen, den man von unten nach oben hin¬ auf ausgeuͤbt hat. Und ſo uͤbten wir Juͤnge¬ ren uns nun auch von oben herunter, indem

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/498>, abgerufen am 23.11.2024.