wobey ich gleich anfangs mit Vergnügen be¬ merkte, daß man die Sache heiter und lustig betrachtete. Wie es aber mit dieser Posse, welche so großes Aufsehn erregt, eigentlich zugegangen, war ich zu erzählen veranlaßt, und so konnte ich nicht umhin, vor allen Dingen einzugestehn, daß wir, als wahr¬ haft oberrheinische Gesellen, sowohl der Nei¬ gung als Abneigung keine Gränzen kannten. Die Verehrung Shakespears ging bey uns bis zur Anbetung. Wieland hatte hingegen, bey der entschiedenen Eigenheit sich und sei¬ nen Lesern das Interesse zu verderben und den Enthusiasmus zu verkümmern, in den Noten zu seiner Uebersetzung gar manches an dem großen Autor getadelt, und zwar auf eine Weise, die uns äußerst verdroß und in unsern Augen das Verdienst dieser Arbeit schmälerte. Wir sahen Wielanden, den wir als Dichter so hoch verehrten, der uns als Uebersetzer so großen Vortheil gebracht, nun¬ mehr als Critiker, launisch, einseitig und un¬
wobey ich gleich anfangs mit Vergnuͤgen be¬ merkte, daß man die Sache heiter und luſtig betrachtete. Wie es aber mit dieſer Poſſe, welche ſo großes Aufſehn erregt, eigentlich zugegangen, war ich zu erzaͤhlen veranlaßt, und ſo konnte ich nicht umhin, vor allen Dingen einzugeſtehn, daß wir, als wahr¬ haft oberrheiniſche Geſellen, ſowohl der Nei¬ gung als Abneigung keine Graͤnzen kannten. Die Verehrung Shakespears ging bey uns bis zur Anbetung. Wieland hatte hingegen, bey der entſchiedenen Eigenheit ſich und ſei¬ nen Leſern das Intereſſe zu verderben und den Enthuſiasmus zu verkuͤmmern, in den Noten zu ſeiner Ueberſetzung gar manches an dem großen Autor getadelt, und zwar auf eine Weiſe, die uns aͤußerſt verdroß und in unſern Augen das Verdienſt dieſer Arbeit ſchmaͤlerte. Wir ſahen Wielanden, den wir als Dichter ſo hoch verehrten, der uns als Ueberſetzer ſo großen Vortheil gebracht, nun¬ mehr als Critiker, launiſch, einſeitig und un¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0506"n="498"/>
wobey ich gleich anfangs mit Vergnuͤgen be¬<lb/>
merkte, daß man die Sache heiter und luſtig<lb/>
betrachtete. Wie es aber mit dieſer Poſſe,<lb/>
welche ſo großes Aufſehn erregt, eigentlich<lb/>
zugegangen, war ich zu erzaͤhlen veranlaßt,<lb/>
und ſo konnte ich nicht umhin, vor allen<lb/>
Dingen einzugeſtehn, daß wir, als wahr¬<lb/>
haft oberrheiniſche Geſellen, ſowohl der Nei¬<lb/>
gung als Abneigung keine Graͤnzen kannten.<lb/>
Die Verehrung Shakespears ging bey uns<lb/>
bis zur Anbetung. Wieland hatte hingegen,<lb/>
bey der entſchiedenen Eigenheit ſich und ſei¬<lb/>
nen Leſern das Intereſſe zu verderben und<lb/>
den Enthuſiasmus zu verkuͤmmern, in den<lb/>
Noten zu ſeiner Ueberſetzung gar manches an<lb/>
dem großen Autor getadelt, und zwar auf<lb/>
eine Weiſe, die uns aͤußerſt verdroß und in<lb/>
unſern Augen das Verdienſt dieſer Arbeit<lb/>ſchmaͤlerte. Wir ſahen Wielanden, den wir<lb/>
als Dichter ſo hoch verehrten, der uns als<lb/>
Ueberſetzer ſo großen Vortheil gebracht, nun¬<lb/>
mehr als Critiker, launiſch, einſeitig und un¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[498/0506]
wobey ich gleich anfangs mit Vergnuͤgen be¬
merkte, daß man die Sache heiter und luſtig
betrachtete. Wie es aber mit dieſer Poſſe,
welche ſo großes Aufſehn erregt, eigentlich
zugegangen, war ich zu erzaͤhlen veranlaßt,
und ſo konnte ich nicht umhin, vor allen
Dingen einzugeſtehn, daß wir, als wahr¬
haft oberrheiniſche Geſellen, ſowohl der Nei¬
gung als Abneigung keine Graͤnzen kannten.
Die Verehrung Shakespears ging bey uns
bis zur Anbetung. Wieland hatte hingegen,
bey der entſchiedenen Eigenheit ſich und ſei¬
nen Leſern das Intereſſe zu verderben und
den Enthuſiasmus zu verkuͤmmern, in den
Noten zu ſeiner Ueberſetzung gar manches an
dem großen Autor getadelt, und zwar auf
eine Weiſe, die uns aͤußerſt verdroß und in
unſern Augen das Verdienſt dieſer Arbeit
ſchmaͤlerte. Wir ſahen Wielanden, den wir
als Dichter ſo hoch verehrten, der uns als
Ueberſetzer ſo großen Vortheil gebracht, nun¬
mehr als Critiker, launiſch, einſeitig und un¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/506>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.