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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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den wechselseitig verkündigt und mitgenossen.
Wir trugen alle Freude, wie ein Gemeingut,
zusammen und wußten sie durch Geist und
Liebe zu steigern. Es war nicht das erste
und letzte Mal, daß ich mich in Familien,
in geselligen Kreisen befand gerade im Au¬
genblick ihrer höchsten Blüte, und wenn ich
mir schmeicheln darf, etwas zu dem Glanz
solcher Epochen beygetragen zu haben, so
muß ich mir dagegen vorwerfen, daß solche
Zeiten uns eben deshalb schneller vorübergeeilt
und früher verschwunden.

Nun sollte aber unsere Liebe noch eine
sonderbare Prüfung ausstehn. Ich will es
Prüfung nennen, obgleich dieß nicht das rech¬
te Wort ist. Die ländliche Familie, der ich
befreundet war, hatte verwandte Häuser in
der Stadt, von gutem Ansehn und Ruf und
in behaglichen Vermögensumständen. Die
jungen Städter waren öfters in Sesenheim.
Die ältern Personen, Mütter und Tanten.

III. 4

den wechſelſeitig verkuͤndigt und mitgenoſſen.
Wir trugen alle Freude, wie ein Gemeingut,
zuſammen und wußten ſie durch Geiſt und
Liebe zu ſteigern. Es war nicht das erſte
und letzte Mal, daß ich mich in Familien,
in geſelligen Kreiſen befand gerade im Au¬
genblick ihrer hoͤchſten Bluͤte, und wenn ich
mir ſchmeicheln darf, etwas zu dem Glanz
ſolcher Epochen beygetragen zu haben, ſo
muß ich mir dagegen vorwerfen, daß ſolche
Zeiten uns eben deshalb ſchneller voruͤbergeeilt
und fruͤher verſchwunden.

Nun ſollte aber unſere Liebe noch eine
ſonderbare Pruͤfung ausſtehn. Ich will es
Pruͤfung nennen, obgleich dieß nicht das rech¬
te Wort iſt. Die laͤndliche Familie, der ich
befreundet war, hatte verwandte Haͤuſer in
der Stadt, von gutem Anſehn und Ruf und
in behaglichen Vermoͤgensumſtaͤnden. Die
jungen Staͤdter waren oͤfters in Seſenheim.
Die aͤltern Perſonen, Muͤtter und Tanten.

III. 4
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[49/0057] den wechſelſeitig verkuͤndigt und mitgenoſſen. Wir trugen alle Freude, wie ein Gemeingut, zuſammen und wußten ſie durch Geiſt und Liebe zu ſteigern. Es war nicht das erſte und letzte Mal, daß ich mich in Familien, in geſelligen Kreiſen befand gerade im Au¬ genblick ihrer hoͤchſten Bluͤte, und wenn ich mir ſchmeicheln darf, etwas zu dem Glanz ſolcher Epochen beygetragen zu haben, ſo muß ich mir dagegen vorwerfen, daß ſolche Zeiten uns eben deshalb ſchneller voruͤbergeeilt und fruͤher verſchwunden. Nun ſollte aber unſere Liebe noch eine ſonderbare Pruͤfung ausſtehn. Ich will es Pruͤfung nennen, obgleich dieß nicht das rech¬ te Wort iſt. Die laͤndliche Familie, der ich befreundet war, hatte verwandte Haͤuſer in der Stadt, von gutem Anſehn und Ruf und in behaglichen Vermoͤgensumſtaͤnden. Die jungen Staͤdter waren oͤfters in Seſenheim. Die aͤltern Perſonen, Muͤtter und Tanten. III. 4

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/57>, abgerufen am 21.11.2024.