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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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einer ganz entgegengesetzten Umgebung, wühl¬
te einige Tage so in dem leidenschaftlichen
Busen, daß ich alle schmeichelnde Aufmerk¬
samkeit auf sie zu wenden hatte, um sie, nach
dem Wunsche Friedrikens, zu begütigen. Ich
fürchtete eine leidenschaftliche Scene. Ich
sah den Augenblick, da sie sich mir zu Füßen
werfen und mich bey allem Heiligen beschwö¬
ren werde, sie aus diesem Zustande zu retten.
Sie war himmlisch gut, wenn sie sich nach
ihrer Weise behaben konnte, aber ein solcher
Zwang setzte sie gleich in Misbehagen und
konnte sie zuletzt bis zur Verzweiflung trei¬
ben. Nun suchte ich zu beschleunigen was
die Mutter mit Olivien wünschte und was
Friedriken nicht zuwider war. Diese im Ge¬
gensatze mit ihrer Schwester zu loben, ent¬
hielt ich mich nicht; ich sagte ihr, wie sehr
ich mich freue, sie unverändert und auch in
diesen Umgebungen so frey wie den Vogel
auf den Zweigen zu finden. Sie war artig
genug zu erwiedern, daß ich ja da sey, sie

einer ganz entgegengeſetzten Umgebung, wuͤhl¬
te einige Tage ſo in dem leidenſchaftlichen
Buſen, daß ich alle ſchmeichelnde Aufmerk¬
ſamkeit auf ſie zu wenden hatte, um ſie, nach
dem Wunſche Friedrikens, zu beguͤtigen. Ich
fuͤrchtete eine leidenſchaftliche Scene. Ich
ſah den Augenblick, da ſie ſich mir zu Fuͤßen
werfen und mich bey allem Heiligen beſchwoͤ¬
ren werde, ſie aus dieſem Zuſtande zu retten.
Sie war himmliſch gut, wenn ſie ſich nach
ihrer Weiſe behaben konnte, aber ein ſolcher
Zwang ſetzte ſie gleich in Misbehagen und
konnte ſie zuletzt bis zur Verzweiflung trei¬
ben. Nun ſuchte ich zu beſchleunigen was
die Mutter mit Olivien wuͤnſchte und was
Friedriken nicht zuwider war. Dieſe im Ge¬
genſatze mit ihrer Schweſter zu loben, ent¬
hielt ich mich nicht; ich ſagte ihr, wie ſehr
ich mich freue, ſie unveraͤndert und auch in
dieſen Umgebungen ſo frey wie den Vogel
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[56/0064] einer ganz entgegengeſetzten Umgebung, wuͤhl¬ te einige Tage ſo in dem leidenſchaftlichen Buſen, daß ich alle ſchmeichelnde Aufmerk¬ ſamkeit auf ſie zu wenden hatte, um ſie, nach dem Wunſche Friedrikens, zu beguͤtigen. Ich fuͤrchtete eine leidenſchaftliche Scene. Ich ſah den Augenblick, da ſie ſich mir zu Fuͤßen werfen und mich bey allem Heiligen beſchwoͤ¬ ren werde, ſie aus dieſem Zuſtande zu retten. Sie war himmliſch gut, wenn ſie ſich nach ihrer Weiſe behaben konnte, aber ein ſolcher Zwang ſetzte ſie gleich in Misbehagen und konnte ſie zuletzt bis zur Verzweiflung trei¬ ben. Nun ſuchte ich zu beſchleunigen was die Mutter mit Olivien wuͤnſchte und was Friedriken nicht zuwider war. Dieſe im Ge¬ genſatze mit ihrer Schweſter zu loben, ent¬ hielt ich mich nicht; ich ſagte ihr, wie ſehr ich mich freue, ſie unveraͤndert und auch in dieſen Umgebungen ſo frey wie den Vogel auf den Zweigen zu finden. Sie war artig genug zu erwiedern, daß ich ja da ſey, ſie

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/64>, abgerufen am 21.11.2024.