und Uebung, wie eine zweyte Muttersprache zu eigen geworden. Nun wünschte ich mich derselben mit größerer Leichtigkeit zu bedienen, und zog deswegen Straßburg zum abermali¬ gen academischen Aufenthalt andern hohen Schulen vor; aber leider sollte ich dort ge¬ rade das Umgekehrte von meinen Hoffnungen erfahren, und von dieser Sprache, diesen Sitten eher ab- als ihnen zugewendet werden.
Die Franzosen, welche sich überhaupt eines guten Betragens befleißigen, sind gegen Frem¬ de die ihre Sprache zu reden anfangen, nach¬ sichtig, sie werden Niemanden über irgend ei¬ nen Fehler auslachen, oder ihn deshalb ohne Umschweif tadeln. Da sie jedoch nicht wohl ertragen mögen, daß in ihrer Sprache gesün¬ digt wird, so haben sie die Art, eben dassel¬ be was man gesagt hat, mit einer anderen Wendung zu wiederholen und gleichsam höf¬ lich zu bekräftigen, sich dabey aber des eigent¬ lichen Ausdrucks, den man hätte gebrauchen
und Uebung, wie eine zweyte Mutterſprache zu eigen geworden. Nun wuͤnſchte ich mich derſelben mit groͤßerer Leichtigkeit zu bedienen, und zog deswegen Straßburg zum abermali¬ gen academiſchen Aufenthalt andern hohen Schulen vor; aber leider ſollte ich dort ge¬ rade das Umgekehrte von meinen Hoffnungen erfahren, und von dieſer Sprache, dieſen Sitten eher ab- als ihnen zugewendet werden.
Die Franzoſen, welche ſich uͤberhaupt eines guten Betragens befleißigen, ſind gegen Frem¬ de die ihre Sprache zu reden anfangen, nach¬ ſichtig, ſie werden Niemanden uͤber irgend ei¬ nen Fehler auslachen, oder ihn deshalb ohne Umſchweif tadeln. Da ſie jedoch nicht wohl ertragen moͤgen, daß in ihrer Sprache geſuͤn¬ digt wird, ſo haben ſie die Art, eben daſſel¬ be was man geſagt hat, mit einer anderen Wendung zu wiederholen und gleichſam hoͤf¬ lich zu bekraͤftigen, ſich dabey aber des eigent¬ lichen Ausdrucks, den man haͤtte gebrauchen
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und Uebung, wie eine zweyte Mutterſprache
zu eigen geworden. Nun wuͤnſchte ich mich
derſelben mit groͤßerer Leichtigkeit zu bedienen,
und zog deswegen Straßburg zum abermali¬
gen academiſchen Aufenthalt andern hohen
Schulen vor; aber leider ſollte ich dort ge¬
rade das Umgekehrte von meinen Hoffnungen
erfahren, und von dieſer Sprache, dieſen
Sitten eher ab- als ihnen zugewendet werden.
Die Franzoſen, welche ſich uͤberhaupt eines
guten Betragens befleißigen, ſind gegen Frem¬
de die ihre Sprache zu reden anfangen, nach¬
ſichtig, ſie werden Niemanden uͤber irgend ei¬
nen Fehler auslachen, oder ihn deshalb ohne
Umſchweif tadeln. Da ſie jedoch nicht wohl
ertragen moͤgen, daß in ihrer Sprache geſuͤn¬
digt wird, ſo haben ſie die Art, eben daſſel¬
be was man geſagt hat, mit einer anderen
Wendung zu wiederholen und gleichſam hoͤf¬
lich zu bekraͤftigen, ſich dabey aber des eigent¬
lichen Ausdrucks, den man haͤtte gebrauchen
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/84>, abgerufen am 21.11.2024.
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