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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Liebhabern, Bauern und Helden hatte ich
mir die Redensarten, so wie die Accentua¬
tionen gemerkt, und dieses babylonische Idiom
sollte sich durch ein wunderliches Ingrediens
noch mehr verwirren, indem ich den französi¬
schen reformirten Geistlichen gern zuhörte und
ihre Kirchen um so lieber besuchte, als ein
sonntägiger Spazirgang nach Bockenheim,
dadurch nicht allein erlaubt sondern geboten
war. Aber auch hiermit sollte es noch nicht
genug seyn: denn als ich in den Jünglings¬
jahren immer mehr auf die Deutschheit des
sechzehnten Jahrhundert gewiesen ward, so
schloß ich gar bald auch die Franzosen jener
herrlichen Epoche in diese Neigung mit ein.
Montaigne, Amyot, Rabelais, Ma¬
rot
waren meine Freunde, und erregten in
mir Antheil und Bewunderung. Alle diese
verschiedenen Elemente bewegten sich nun in
meiner Rede chaotisch durch einander, so daß
für den Zuhörer die Intention über dem
wunderlichen Ausdruck meist verloren ging,

Liebhabern, Bauern und Helden hatte ich
mir die Redensarten, ſo wie die Accentua¬
tionen gemerkt, und dieſes babyloniſche Idiom
ſollte ſich durch ein wunderliches Ingrediens
noch mehr verwirren, indem ich den franzoͤſi¬
ſchen reformirten Geiſtlichen gern zuhoͤrte und
ihre Kirchen um ſo lieber beſuchte, als ein
ſonntaͤgiger Spazirgang nach Bockenheim,
dadurch nicht allein erlaubt ſondern geboten
war. Aber auch hiermit ſollte es noch nicht
genug ſeyn: denn als ich in den Juͤnglings¬
jahren immer mehr auf die Deutſchheit des
ſechzehnten Jahrhundert gewieſen ward, ſo
ſchloß ich gar bald auch die Franzoſen jener
herrlichen Epoche in dieſe Neigung mit ein.
Montaigne, Amyot, Rabelais, Ma¬
rot
waren meine Freunde, und erregten in
mir Antheil und Bewunderung. Alle dieſe
verſchiedenen Elemente bewegten ſich nun in
meiner Rede chaotiſch durch einander, ſo daß
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[78/0086] Liebhabern, Bauern und Helden hatte ich mir die Redensarten, ſo wie die Accentua¬ tionen gemerkt, und dieſes babyloniſche Idiom ſollte ſich durch ein wunderliches Ingrediens noch mehr verwirren, indem ich den franzoͤſi¬ ſchen reformirten Geiſtlichen gern zuhoͤrte und ihre Kirchen um ſo lieber beſuchte, als ein ſonntaͤgiger Spazirgang nach Bockenheim, dadurch nicht allein erlaubt ſondern geboten war. Aber auch hiermit ſollte es noch nicht genug ſeyn: denn als ich in den Juͤnglings¬ jahren immer mehr auf die Deutſchheit des ſechzehnten Jahrhundert gewieſen ward, ſo ſchloß ich gar bald auch die Franzoſen jener herrlichen Epoche in dieſe Neigung mit ein. Montaigne, Amyot, Rabelais, Ma¬ rot waren meine Freunde, und erregten in mir Antheil und Bewunderung. Alle dieſe verſchiedenen Elemente bewegten ſich nun in meiner Rede chaotiſch durch einander, ſo daß fuͤr den Zuhoͤrer die Intention uͤber dem wunderlichen Ausdruck meiſt verloren ging,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/86>, abgerufen am 21.11.2024.