Ich hätte einige hübsche Parthien thun kön¬ nen, wenn nicht meine Stiefmutter aus Furcht vor der Ausstattung sie zu vereiteln gewußt hätte. Nun habe ich den jungen Melina kennen lernen, ich habe ihn lieben müssen, und da wir die Hindernisse voraus¬ sahen, die unserer Verbindung im Wege stun¬ den, entschlossen wir uns mit einander in der weiten Welt ein Glück zu suchen, das uns zu Hause nicht gewährt schien. Ich habe nichts mitgenommen, als was mein eigen war, wir sind nicht als Diebe und Räuber entflohen, und mein Geliebter verdient nicht, daß er mit Ketten und Banden belegt her¬ umgeschleppt werde. Der Fürst ist gerecht, er wird diese Härte nicht billigen. Wenn wir strafbar sind, so sind wir es nicht auf diese Weise.
Der alte Amtmann kam hierüber doppelt und dreyfach in Verlegenheit. Die gnädig¬
H 2
Ich hätte einige hübſche Parthien thun kön¬ nen, wenn nicht meine Stiefmutter aus Furcht vor der Ausſtattung ſie zu vereiteln gewußt hätte. Nun habe ich den jungen Melina kennen lernen, ich habe ihn lieben müſſen, und da wir die Hinderniſſe voraus¬ ſahen, die unſerer Verbindung im Wege ſtun¬ den, entſchloſſen wir uns mit einander in der weiten Welt ein Glück zu ſuchen, das uns zu Hauſe nicht gewährt ſchien. Ich habe nichts mitgenommen, als was mein eigen war, wir ſind nicht als Diebe und Räuber entflohen, und mein Geliebter verdient nicht, daß er mit Ketten und Banden belegt her¬ umgeſchleppt werde. Der Fürſt iſt gerecht, er wird dieſe Härte nicht billigen. Wenn wir ſtrafbar ſind, ſo ſind wir es nicht auf dieſe Weiſe.
Der alte Amtmann kam hierüber doppelt und dreyfach in Verlegenheit. Die gnädig¬
H 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0123"n="115"/>
Ich hätte einige hübſche Parthien thun kön¬<lb/>
nen, wenn nicht meine Stiefmutter aus<lb/>
Furcht vor der Ausſtattung ſie zu vereiteln<lb/>
gewußt hätte. Nun habe ich den jungen<lb/>
Melina kennen lernen, ich habe ihn lieben<lb/>
müſſen, und da wir die Hinderniſſe voraus¬<lb/>ſahen, die unſerer Verbindung im Wege ſtun¬<lb/>
den, entſchloſſen wir uns mit einander in der<lb/>
weiten Welt ein Glück zu ſuchen, das uns<lb/>
zu Hauſe nicht gewährt ſchien. Ich habe<lb/>
nichts mitgenommen, als was mein eigen<lb/>
war, wir ſind nicht als Diebe und Räuber<lb/>
entflohen, und mein Geliebter verdient nicht,<lb/>
daß er mit Ketten und Banden belegt her¬<lb/>
umgeſchleppt werde. Der Fürſt iſt gerecht,<lb/>
er wird dieſe Härte nicht billigen. Wenn<lb/>
wir ſtrafbar ſind, ſo ſind wir es nicht auf<lb/>
dieſe Weiſe.</p><lb/><p>Der alte Amtmann kam hierüber doppelt<lb/>
und dreyfach in Verlegenheit. Die gnädig¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 2<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[115/0123]
Ich hätte einige hübſche Parthien thun kön¬
nen, wenn nicht meine Stiefmutter aus
Furcht vor der Ausſtattung ſie zu vereiteln
gewußt hätte. Nun habe ich den jungen
Melina kennen lernen, ich habe ihn lieben
müſſen, und da wir die Hinderniſſe voraus¬
ſahen, die unſerer Verbindung im Wege ſtun¬
den, entſchloſſen wir uns mit einander in der
weiten Welt ein Glück zu ſuchen, das uns
zu Hauſe nicht gewährt ſchien. Ich habe
nichts mitgenommen, als was mein eigen
war, wir ſind nicht als Diebe und Räuber
entflohen, und mein Geliebter verdient nicht,
daß er mit Ketten und Banden belegt her¬
umgeſchleppt werde. Der Fürſt iſt gerecht,
er wird dieſe Härte nicht billigen. Wenn
wir ſtrafbar ſind, ſo ſind wir es nicht auf
dieſe Weiſe.
Der alte Amtmann kam hierüber doppelt
und dreyfach in Verlegenheit. Die gnädig¬
H 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/123>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.