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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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Weibern als ein Muster einer kindlich un¬
befangenen Zärtlichkeit anpreisen.

Eben gingen einige Leute vorbey, und sie
liebkoste ihn auf das anmuthigste, und er,
um kein Skandal zu geben, war gezwungen,
die Rolle des geduldigen Ehemannes zu spie¬
len. Dann schnitt sie den Leuten Gesichter
im Rücken, und trieb voll Übermuth aller¬
hand Ungezogenheiten, bis er zuletzt verspre¬
chen mußte, noch heute und morgen und
übermorgen zu bleiben.

Sie sind ein rechter Stock, sagte sie dar¬
auf, indem sie von ihm abließ, und ich eine
Thörin, daß ich so viel Freundlichkeit an
Sie verschwende. Sie stand verdrießlich auf
und ging einige Schritte; dann kehrte sie
lachend zurück, und rief: ich glaube eben,
daß ich darum in dich vernarrt bin, ich will
nur gehen und meinen Strickstrumpf holen,
daß ich etwas zu thun habe. Bleibe ja, da¬

Weibern als ein Muſter einer kindlich un¬
befangenen Zärtlichkeit anpreiſen.

Eben gingen einige Leute vorbey, und ſie
liebkoſte ihn auf das anmuthigſte, und er,
um kein Skandal zu geben, war gezwungen,
die Rolle des geduldigen Ehemannes zu ſpie¬
len. Dann ſchnitt ſie den Leuten Geſichter
im Rücken, und trieb voll Übermuth aller¬
hand Ungezogenheiten, bis er zuletzt verſpre¬
chen mußte, noch heute und morgen und
übermorgen zu bleiben.

Sie ſind ein rechter Stock, ſagte ſie dar¬
auf, indem ſie von ihm abließ, und ich eine
Thörin, daß ich ſo viel Freundlichkeit an
Sie verſchwende. Sie ſtand verdrießlich auf
und ging einige Schritte; dann kehrte ſie
lachend zurück, und rief: ich glaube eben,
daß ich darum in dich vernarrt bin, ich will
nur gehen und meinen Strickſtrumpf holen,
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[338/0346] Weibern als ein Muſter einer kindlich un¬ befangenen Zärtlichkeit anpreiſen. Eben gingen einige Leute vorbey, und ſie liebkoſte ihn auf das anmuthigſte, und er, um kein Skandal zu geben, war gezwungen, die Rolle des geduldigen Ehemannes zu ſpie¬ len. Dann ſchnitt ſie den Leuten Geſichter im Rücken, und trieb voll Übermuth aller¬ hand Ungezogenheiten, bis er zuletzt verſpre¬ chen mußte, noch heute und morgen und übermorgen zu bleiben. Sie ſind ein rechter Stock, ſagte ſie dar¬ auf, indem ſie von ihm abließ, und ich eine Thörin, daß ich ſo viel Freundlichkeit an Sie verſchwende. Sie ſtand verdrießlich auf und ging einige Schritte; dann kehrte ſie lachend zurück, und rief: ich glaube eben, daß ich darum in dich vernarrt bin, ich will nur gehen und meinen Strickſtrumpf holen, daß ich etwas zu thun habe. Bleibe ja, da¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/346>, abgerufen am 22.11.2024.