Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu ho¬
len, einen verstohlnen Blick that; desto schnel¬
ler war ich, einen Augenblick zu benutzen, den
mich die Nachlässigkeit der Wirthschafterin¬
nen manchmal treffen ließ.

Unter allen Thüren war, wie man leicht
erachten kann, die Thüre der Speisekammer
diejenige, auf die meine Sinne am schärfsten
gerichtet waren. Wenig ahndungsvolle Freu¬
den des Lebens glichen der Empfindung,
wenn mich meine Mutter manchmal hinein¬
rief, um ihr etwas heraustragen zu helfen,
und ich denn einige gedörrte Pflaumen ent¬
weder ihrer Güte oder meiner List zu dan¬
ken hatte. Die aufgehäuften Schätze über¬
einander umfingen meine Einbildungskraft
mit ihrer Fülle, und selbst der wunderliche
Geruch, den so mancherley Spezereyen durch¬
einander aushauchten, hatte so eine leckere
Wirkung auf mich, daß ich niemals ver¬

Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu ho¬
len, einen verſtohlnen Blick that; deſto ſchnel¬
ler war ich, einen Augenblick zu benutzen, den
mich die Nachläſſigkeit der Wirthſchafterin¬
nen manchmal treffen ließ.

Unter allen Thüren war, wie man leicht
erachten kann, die Thüre der Speiſekammer
diejenige, auf die meine Sinne am ſchärfſten
gerichtet waren. Wenig ahndungsvolle Freu¬
den des Lebens glichen der Empfindung,
wenn mich meine Mutter manchmal hinein¬
rief, um ihr etwas heraustragen zu helfen,
und ich denn einige gedörrte Pflaumen ent¬
weder ihrer Güte oder meiner Liſt zu dan¬
ken hatte. Die aufgehäuften Schätze über¬
einander umfingen meine Einbildungskraft
mit ihrer Fülle, und ſelbſt der wunderliche
Geruch, den ſo mancherley Spezereyen durch¬
einander aushauchten, hatte ſo eine leckere
Wirkung auf mich, daß ich niemals ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0042" n="34"/>
Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu ho¬<lb/>
len, einen ver&#x017F;tohlnen Blick that; de&#x017F;to &#x017F;chnel¬<lb/>
ler war ich, einen Augenblick zu benutzen, den<lb/>
mich die Nachlä&#x017F;&#x017F;igkeit der Wirth&#x017F;chafterin¬<lb/>
nen manchmal treffen ließ.</p><lb/>
            <p>Unter allen Thüren war, wie man leicht<lb/>
erachten kann, die Thüre der Spei&#x017F;ekammer<lb/>
diejenige, auf die meine Sinne am &#x017F;chärf&#x017F;ten<lb/>
gerichtet waren. Wenig ahndungsvolle Freu¬<lb/>
den des Lebens glichen der Empfindung,<lb/>
wenn mich meine Mutter manchmal hinein¬<lb/>
rief, um ihr etwas heraustragen zu helfen,<lb/>
und ich denn einige gedörrte Pflaumen ent¬<lb/>
weder ihrer Güte oder meiner Li&#x017F;t zu dan¬<lb/>
ken hatte. Die aufgehäuften Schätze über¬<lb/>
einander umfingen meine Einbildungskraft<lb/>
mit ihrer Fülle, und &#x017F;elb&#x017F;t der wunderliche<lb/>
Geruch, den &#x017F;o mancherley Spezereyen durch¬<lb/>
einander aushauchten, hatte &#x017F;o eine leckere<lb/>
Wirkung auf mich, daß ich niemals ver¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0042] Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu ho¬ len, einen verſtohlnen Blick that; deſto ſchnel¬ ler war ich, einen Augenblick zu benutzen, den mich die Nachläſſigkeit der Wirthſchafterin¬ nen manchmal treffen ließ. Unter allen Thüren war, wie man leicht erachten kann, die Thüre der Speiſekammer diejenige, auf die meine Sinne am ſchärfſten gerichtet waren. Wenig ahndungsvolle Freu¬ den des Lebens glichen der Empfindung, wenn mich meine Mutter manchmal hinein¬ rief, um ihr etwas heraustragen zu helfen, und ich denn einige gedörrte Pflaumen ent¬ weder ihrer Güte oder meiner Liſt zu dan¬ ken hatte. Die aufgehäuften Schätze über¬ einander umfingen meine Einbildungskraft mit ihrer Fülle, und ſelbſt der wunderliche Geruch, den ſo mancherley Spezereyen durch¬ einander aushauchten, hatte ſo eine leckere Wirkung auf mich, daß ich niemals ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/42
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/42>, abgerufen am 21.11.2024.