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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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scherzen pflegte, ein solcher Anlaß sehr er¬
wünscht, seinen Verwandten auf alle Weise
zu plagen. Jedermann hatte seine eigne
Muthmaßungen, wer der Verfasser des Ge¬
dichtes seyn könnte, und der Graf, der sich
nicht gern im Scharfsinn von jemand über¬
troffen sah, fiel auf einen Gedanken, den er
sogleich zu beschwören bereit war: das Ge¬
dicht könne sich nur von seinem Pedanten
herschreiben, der ein sehr feiner Bursche sey,
und an dem er schon lange so etwas poeti¬
sches Genie gemerkt habe. Um sich ein rech¬
tes Vergnügen zu machen, ließ er deswegen
an einem Morgen diesen Schauspieler rufen,
der ihm in Gegenwart der Gräfin, der Ba¬
ronesse und Jarnos das Gedicht nach seiner
Art vorlesen mußte, und dafür Lob, Beyfall
und ein Geschenk einerndtete, und die Frage
des Grafen, ob er nicht sonst noch einige
Gedichte von früheren Zeiten besitze? mit

ſcherzen pflegte, ein ſolcher Anlaß ſehr er¬
wünſcht, ſeinen Verwandten auf alle Weiſe
zu plagen. Jedermann hatte ſeine eigne
Muthmaßungen, wer der Verfaſſer des Ge¬
dichtes ſeyn könnte, und der Graf, der ſich
nicht gern im Scharfſinn von jemand über¬
troffen ſah, fiel auf einen Gedanken, den er
ſogleich zu beſchwören bereit war: das Ge¬
dicht könne ſich nur von ſeinem Pedanten
herſchreiben, der ein ſehr feiner Burſche ſey,
und an dem er ſchon lange ſo etwas poeti¬
ſches Genie gemerkt habe. Um ſich ein rech¬
tes Vergnügen zu machen, ließ er deswegen
an einem Morgen dieſen Schauſpieler rufen,
der ihm in Gegenwart der Gräfin, der Ba¬
roneſſe und Jarnos das Gedicht nach ſeiner
Art vorleſen mußte, und dafür Lob, Beyfall
und ein Geſchenk einerndtete, und die Frage
des Grafen, ob er nicht ſonſt noch einige
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[110/0118] ſcherzen pflegte, ein ſolcher Anlaß ſehr er¬ wünſcht, ſeinen Verwandten auf alle Weiſe zu plagen. Jedermann hatte ſeine eigne Muthmaßungen, wer der Verfaſſer des Ge¬ dichtes ſeyn könnte, und der Graf, der ſich nicht gern im Scharfſinn von jemand über¬ troffen ſah, fiel auf einen Gedanken, den er ſogleich zu beſchwören bereit war: das Ge¬ dicht könne ſich nur von ſeinem Pedanten herſchreiben, der ein ſehr feiner Burſche ſey, und an dem er ſchon lange ſo etwas poeti¬ ſches Genie gemerkt habe. Um ſich ein rech¬ tes Vergnügen zu machen, ließ er deswegen an einem Morgen dieſen Schauſpieler rufen, der ihm in Gegenwart der Gräfin, der Ba¬ roneſſe und Jarnos das Gedicht nach ſeiner Art vorleſen mußte, und dafür Lob, Beyfall und ein Geſchenk einerndtete, und die Frage des Grafen, ob er nicht ſonſt noch einige Gedichte von früheren Zeiten beſitze? mit

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/118>, abgerufen am 22.11.2024.