Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

nur ein, du abgestorbener Weltmann, daß
du ein Freund seyn könnest! Alles, was du
mir anbieten magst, ist der Empfindung nicht
werth, die mich an diese Unglücklichen bindet.
Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten
entdecke, was ich von dir zu erwarten
hatte! --

Er schloß Mignon, die ihm eben entge¬
gen kam, in die Arme, und rief aus: nein,
uns soll nichts trennen, du gutes kleines Ge¬
schöpf! Die scheinbare Klugheit der Welt soll
mich nicht vermögen, dich zu verlassen, noch
zu vergessen, was ich dir schuldig bin.

Das Kind, dessen heftige Liebkosungen er
sonst abzulehnen pflegte, erfreute sich dieses
unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und
hing sich so fest an ihn, daß er es nur mit
Mühe zuletzt los werden konnte.

Seit dieser Zeit gab er mehr auf Jarnos
Handlungen acht, die ihm nicht alle lobens¬

nur ein, du abgeſtorbener Weltmann, daß
du ein Freund ſeyn könneſt! Alles, was du
mir anbieten magſt, iſt der Empfindung nicht
werth, die mich an dieſe Unglücklichen bindet.
Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten
entdecke, was ich von dir zu erwarten
hatte! —

Er ſchloß Mignon, die ihm eben entge¬
gen kam, in die Arme, und rief aus: nein,
uns ſoll nichts trennen, du gutes kleines Ge¬
ſchöpf! Die ſcheinbare Klugheit der Welt ſoll
mich nicht vermögen, dich zu verlaſſen, noch
zu vergeſſen, was ich dir ſchuldig bin.

Das Kind, deſſen heftige Liebkoſungen er
ſonſt abzulehnen pflegte, erfreute ſich dieſes
unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und
hing ſich ſo feſt an ihn, daß er es nur mit
Mühe zuletzt los werden konnte.

Seit dieſer Zeit gab er mehr auf Jarnos
Handlungen acht, die ihm nicht alle lobens¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0147" n="139"/>
nur ein, du abge&#x017F;torbener Weltmann, daß<lb/>
du ein Freund &#x017F;eyn könne&#x017F;t! Alles, was du<lb/>
mir anbieten mag&#x017F;t, i&#x017F;t der Empfindung nicht<lb/>
werth, die mich an die&#x017F;e Unglücklichen bindet.<lb/>
Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten<lb/>
entdecke, was ich von dir zu erwarten<lb/>
hatte! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Er &#x017F;chloß Mignon, die ihm eben entge¬<lb/>
gen kam, in die Arme, und rief aus: nein,<lb/>
uns &#x017F;oll nichts trennen, du gutes kleines Ge¬<lb/>
&#x017F;chöpf! Die &#x017F;cheinbare Klugheit der Welt &#x017F;oll<lb/>
mich nicht vermögen, dich zu verla&#x017F;&#x017F;en, noch<lb/>
zu verge&#x017F;&#x017F;en, was ich dir &#x017F;chuldig bin.</p><lb/>
            <p>Das Kind, de&#x017F;&#x017F;en heftige Liebko&#x017F;ungen er<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t abzulehnen pflegte, erfreute &#x017F;ich die&#x017F;es<lb/>
unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und<lb/>
hing &#x017F;ich &#x017F;o fe&#x017F;t an ihn, daß er es nur mit<lb/>
Mühe zuletzt los werden konnte.</p><lb/>
            <p>Seit die&#x017F;er Zeit gab er mehr auf Jarnos<lb/>
Handlungen acht, die ihm nicht alle lobens¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0147] nur ein, du abgeſtorbener Weltmann, daß du ein Freund ſeyn könneſt! Alles, was du mir anbieten magſt, iſt der Empfindung nicht werth, die mich an dieſe Unglücklichen bindet. Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten entdecke, was ich von dir zu erwarten hatte! — Er ſchloß Mignon, die ihm eben entge¬ gen kam, in die Arme, und rief aus: nein, uns ſoll nichts trennen, du gutes kleines Ge¬ ſchöpf! Die ſcheinbare Klugheit der Welt ſoll mich nicht vermögen, dich zu verlaſſen, noch zu vergeſſen, was ich dir ſchuldig bin. Das Kind, deſſen heftige Liebkoſungen er ſonſt abzulehnen pflegte, erfreute ſich dieſes unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und hing ſich ſo feſt an ihn, daß er es nur mit Mühe zuletzt los werden konnte. Seit dieſer Zeit gab er mehr auf Jarnos Handlungen acht, die ihm nicht alle lobens¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/147
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/147>, abgerufen am 22.11.2024.