seinem zerstreuten Leben die Innigkeit erhal¬ ten, in der ein Künstler bleiben muß, wenn er etwas Vollkommenes hervorzubringen denkt, und die selbst demjenigen nicht fremd seyn darf, der einen solchen Antheil am Werke nehmen will, wie der Künstler ihn wünscht und hofft.
Glaubt mir, meine Freunde, es ist mit den Talenten wie mit der Tugend: man muß sie um ihrer selbst willen lieben, oder sie ganz aufgeben. Und doch werden sie beide nicht anders erkannt und belohnt, als wenn man sie, gleich einem gefährlichen Geheim¬ niß, im Verborgnen üben kann.
Unterdessen, bis ein Kenner uns auffindet, kann man Hungers sterben, rief einer aus der Ecke.
Nicht eben sogleich, versetzte Wilhelm. Ich habe gesehen, so lange einer lebt und sich rührt, findet er immer seine Nahrung,
ſeinem zerſtreuten Leben die Innigkeit erhal¬ ten, in der ein Künſtler bleiben muß, wenn er etwas Vollkommenes hervorzubringen denkt, und die ſelbſt demjenigen nicht fremd ſeyn darf, der einen ſolchen Antheil am Werke nehmen will, wie der Künſtler ihn wünſcht und hofft.
Glaubt mir, meine Freunde, es iſt mit den Talenten wie mit der Tugend: man muß ſie um ihrer ſelbſt willen lieben, oder ſie ganz aufgeben. Und doch werden ſie beide nicht anders erkannt und belohnt, als wenn man ſie, gleich einem gefährlichen Geheim¬ niß, im Verborgnen üben kann.
Unterdeſſen, bis ein Kenner uns auffindet, kann man Hungers ſterben, rief einer aus der Ecke.
Nicht eben ſogleich, verſetzte Wilhelm. Ich habe geſehen, ſo lange einer lebt und ſich rührt, findet er immer ſeine Nahrung,
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ſeinem zerſtreuten Leben die Innigkeit erhal¬
ten, in der ein Künſtler bleiben muß, wenn
er etwas Vollkommenes hervorzubringen
denkt, und die ſelbſt demjenigen nicht fremd
ſeyn darf, der einen ſolchen Antheil am
Werke nehmen will, wie der Künſtler ihn
wünſcht und hofft.
Glaubt mir, meine Freunde, es iſt mit
den Talenten wie mit der Tugend: man muß
ſie um ihrer ſelbſt willen lieben, oder ſie
ganz aufgeben. Und doch werden ſie beide
nicht anders erkannt und belohnt, als wenn
man ſie, gleich einem gefährlichen Geheim¬
niß, im Verborgnen üben kann.
Unterdeſſen, bis ein Kenner uns auffindet,
kann man Hungers ſterben, rief einer aus
der Ecke.
Nicht eben ſogleich, verſetzte Wilhelm.
Ich habe geſehen, ſo lange einer lebt und
ſich rührt, findet er immer ſeine Nahrung,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/199>, abgerufen am 16.02.2025.
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