nur wie nach einem verschwundnen Traume. Vergebens, daß sein Oheim ihn aufmuntern, ihm seine Lage aus einem andern Gesichts¬ punkte zeigen will, die Empfindung seines Nichts verläßt ihn nie.
Der zweyte Schlag, der ihn traf, verletzte tiefer, beugte noch mehr. Es ist die Heirath seiner Mutter. Ihm, einem treuen und zärt¬ lichen Sohne, blieb, da sein Vater starb, eine Mutter noch übrig; er hoffte in Gesell¬ schaft seiner hinterlaßnen edlen Mutter die Heldengestalt jenes großen Abgeschiednen zu verehren; aber auch seine Mutter verliert er, und es ist schlimmer als wenn sie ihm der Tod geraubt hätte. Das zuverläßige Bild, das sich ein wohlgerathnes Kind so gern von seinen Eltern macht, verschwindet; bey dem Todten ist keine Hülfe, und an der Lebendi¬ gen kein Halt. Sie ist auch ein Weib, und unter dem allgemeinen Geschlechtsnahmen, Gebrechlichkeit, ist auch sie begriffen.
nur wie nach einem verſchwundnen Traume. Vergebens, daß ſein Oheim ihn aufmuntern, ihm ſeine Lage aus einem andern Geſichts¬ punkte zeigen will, die Empfindung ſeines Nichts verläßt ihn nie.
Der zweyte Schlag, der ihn traf, verletzte tiefer, beugte noch mehr. Es iſt die Heirath ſeiner Mutter. Ihm, einem treuen und zärt¬ lichen Sohne, blieb, da ſein Vater ſtarb, eine Mutter noch übrig; er hoffte in Geſell¬ ſchaft ſeiner hinterlaßnen edlen Mutter die Heldengeſtalt jenes großen Abgeſchiednen zu verehren; aber auch ſeine Mutter verliert er, und es iſt ſchlimmer als wenn ſie ihm der Tod geraubt hätte. Das zuverläßige Bild, das ſich ein wohlgerathnes Kind ſo gern von ſeinen Eltern macht, verſchwindet; bey dem Todten iſt keine Hülfe, und an der Lebendi¬ gen kein Halt. Sie iſt auch ein Weib, und unter dem allgemeinen Geſchlechtsnahmen, Gebrechlichkeit, iſt auch ſie begriffen.
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nur wie nach einem verſchwundnen Traume.
Vergebens, daß ſein Oheim ihn aufmuntern,
ihm ſeine Lage aus einem andern Geſichts¬
punkte zeigen will, die Empfindung ſeines
Nichts verläßt ihn nie.
Der zweyte Schlag, der ihn traf, verletzte
tiefer, beugte noch mehr. Es iſt die Heirath
ſeiner Mutter. Ihm, einem treuen und zärt¬
lichen Sohne, blieb, da ſein Vater ſtarb,
eine Mutter noch übrig; er hoffte in Geſell¬
ſchaft ſeiner hinterlaßnen edlen Mutter die
Heldengeſtalt jenes großen Abgeſchiednen zu
verehren; aber auch ſeine Mutter verliert er,
und es iſt ſchlimmer als wenn ſie ihm der
Tod geraubt hätte. Das zuverläßige Bild,
das ſich ein wohlgerathnes Kind ſo gern von
ſeinen Eltern macht, verſchwindet; bey dem
Todten iſt keine Hülfe, und an der Lebendi¬
gen kein Halt. Sie iſt auch ein Weib, und
unter dem allgemeinen Geſchlechtsnahmen,
Gebrechlichkeit, iſt auch ſie begriffen.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/285>, abgerufen am 22.11.2024.
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