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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Ihre Gegenwart alle Bande aufgelöst. Mein
Freund! fuhr sie fort, seit einem Augenblicke
sind wir erst bekannt, und schon werden Sie
mein Vertrauter. Sie konnte die Worte
kaum aussprechen, und sank an seine Schul¬
ter. Denken Sie nicht übler von mir, sagte
sie schluchzend, daß ich mich Ihnen so schnell
eröffne, daß Sie mich so schwach sehen.
Seyn Sie, bleiben Sie mein Freund, ich
verdiene es. Er redete ihr auf das herzlich¬
ste zu, umsonst! ihre Thränen flossen und er¬
stickten ihre Worte.

In diesem Augenblicke trat Serlo sehr
unwillkommen herein, und sehr unerwartet
Philine, die er bey der Hand hielt. Hier ist
Ihr Freund, sagte er zu ihr, er wird sich
freun, Sie zu begrüßen.

Wie! rief Wilhelm erstaunt, muß ich Sie
hier sehen? Mit einem bescheidnen, gesetzten
Wesen ging sie auf ihn los, hieß ihn will¬

Ihre Gegenwart alle Bande aufgelöſt. Mein
Freund! fuhr ſie fort, ſeit einem Augenblicke
ſind wir erſt bekannt, und ſchon werden Sie
mein Vertrauter. Sie konnte die Worte
kaum ausſprechen, und ſank an ſeine Schul¬
ter. Denken Sie nicht übler von mir, ſagte
ſie ſchluchzend, daß ich mich Ihnen ſo ſchnell
eröffne, daß Sie mich ſo ſchwach ſehen.
Seyn Sie, bleiben Sie mein Freund, ich
verdiene es. Er redete ihr auf das herzlich¬
ſte zu, umſonſt! ihre Thränen floſſen und er¬
ſtickten ihre Worte.

In dieſem Augenblicke trat Serlo ſehr
unwillkommen herein, und ſehr unerwartet
Philine, die er bey der Hand hielt. Hier iſt
Ihr Freund, ſagte er zu ihr, er wird ſich
freun, Sie zu begrüßen.

Wie! rief Wilhelm erſtaunt, muß ich Sie
hier ſehen? Mit einem beſcheidnen, geſetzten
Weſen ging ſie auf ihn los, hieß ihn will¬

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[285/0294] Ihre Gegenwart alle Bande aufgelöſt. Mein Freund! fuhr ſie fort, ſeit einem Augenblicke ſind wir erſt bekannt, und ſchon werden Sie mein Vertrauter. Sie konnte die Worte kaum ausſprechen, und ſank an ſeine Schul¬ ter. Denken Sie nicht übler von mir, ſagte ſie ſchluchzend, daß ich mich Ihnen ſo ſchnell eröffne, daß Sie mich ſo ſchwach ſehen. Seyn Sie, bleiben Sie mein Freund, ich verdiene es. Er redete ihr auf das herzlich¬ ſte zu, umſonſt! ihre Thränen floſſen und er¬ ſtickten ihre Worte. In dieſem Augenblicke trat Serlo ſehr unwillkommen herein, und ſehr unerwartet Philine, die er bey der Hand hielt. Hier iſt Ihr Freund, ſagte er zu ihr, er wird ſich freun, Sie zu begrüßen. Wie! rief Wilhelm erſtaunt, muß ich Sie hier ſehen? Mit einem beſcheidnen, geſetzten Weſen ging ſie auf ihn los, hieß ihn will¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/294>, abgerufen am 22.11.2024.