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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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fragt sich, ob unter der großen Masse eine
Menge von Anlagen, Kräften und Fähigkei¬
ten vertheilt sey, die durch günstige Umstän¬
de entwickelt, durch vorzügliche Menschen zu
einem gemeinsamen Endzwecke geleitet wer¬
den können? Ich freute mich nun, so wenig
hervorstechende Originalität unter meinen
Landsleuten zu finden; ich freute mich, daß
sie eine Richtung von aussen anzunehmen
nicht verschmähten. Ich freute mich, einen
Anführer gefunden zu haben.

Lothar -- Lassen Sie mich meinen Freund
mit seinem geliebten Vornahmen nennen --
hatte mir immer die Deutschen von der Sei¬
te der Tapferkeit vorgestellt, und mir gezeigt,
daß keine bravere Nation in der Welt sey,
wenn sie recht geführt werde, und ich schäm¬
te mich, an die erste Eigenschaft eines Volks
niemals gedacht zu haben. Ihm war die
Geschichte bekannt, und mit den meisten ver¬

fragt ſich, ob unter der großen Maſſe eine
Menge von Anlagen, Kräften und Fähigkei¬
ten vertheilt ſey, die durch günſtige Umſtän¬
de entwickelt, durch vorzügliche Menſchen zu
einem gemeinſamen Endzwecke geleitet wer¬
den können? Ich freute mich nun, ſo wenig
hervorſtechende Originalität unter meinen
Landsleuten zu finden; ich freute mich, daß
ſie eine Richtung von auſſen anzunehmen
nicht verſchmähten. Ich freute mich, einen
Anführer gefunden zu haben.

Lothar — Laſſen Sie mich meinen Freund
mit ſeinem geliebten Vornahmen nennen —
hatte mir immer die Deutſchen von der Sei¬
te der Tapferkeit vorgeſtellt, und mir gezeigt,
daß keine bravere Nation in der Welt ſey,
wenn ſie recht geführt werde, und ich ſchäm¬
te mich, an die erſte Eigenſchaft eines Volks
niemals gedacht zu haben. Ihm war die
Geſchichte bekannt, und mit den meiſten ver¬

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[330/0339] fragt ſich, ob unter der großen Maſſe eine Menge von Anlagen, Kräften und Fähigkei¬ ten vertheilt ſey, die durch günſtige Umſtän¬ de entwickelt, durch vorzügliche Menſchen zu einem gemeinſamen Endzwecke geleitet wer¬ den können? Ich freute mich nun, ſo wenig hervorſtechende Originalität unter meinen Landsleuten zu finden; ich freute mich, daß ſie eine Richtung von auſſen anzunehmen nicht verſchmähten. Ich freute mich, einen Anführer gefunden zu haben. Lothar — Laſſen Sie mich meinen Freund mit ſeinem geliebten Vornahmen nennen — hatte mir immer die Deutſchen von der Sei¬ te der Tapferkeit vorgeſtellt, und mir gezeigt, daß keine bravere Nation in der Welt ſey, wenn ſie recht geführt werde, und ich ſchäm¬ te mich, an die erſte Eigenſchaft eines Volks niemals gedacht zu haben. Ihm war die Geſchichte bekannt, und mit den meiſten ver¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/339>, abgerufen am 24.11.2024.